Gauck: Eine Biographie (German Edition)
das Ziel, Gaucks Mittäterschaft beweisen und ihn strafrechtlich belangen zu können. Zu denen, die mithelfen sollten, Beweise dafür zu liefern, gehörte Wolfgang Schnur. An diesen in Kirchenkreisen bekannten Rostocker Rechtsanwalt wandten sich Kirchenleute vertrauensvoll, wenn man in Konflikt mit der Staatsmacht geraten war. Schnur war einer von drei DDR -weit tätigen Anwälten, die sich darauf spezialisiert hatten, Wehrdienstverweigerer zu vertreten. Als Vertrauensanwalt der evangelischen Kirche bewegte er sich völlig frei in den Institutionen der acht evangelischen 167 Landeskirchen der DDR . Er trat dabei auf wie ein Mann der Kirche und sprach andere Geistliche als »Bruder« und »Schwester« an und betete mit ihnen. Jetzt hatte er die Strafverteidigung der noch minderjährigen Dörte Neubauer übernommen. Was niemand wusste: Schnur war als IM »Torsten« und später IM »Ralf Schirmer« seit 1965 für das MfS tätig und eine der Spitzenquellen der Stasi innerhalb der evangelischen Kirche.
Gleich zu seinen ersten Fragen an seine Mandantin gehörte, ob ihr Pastor von der Sache im Vorfeld gewusst habe. Neubauer verneinte wahrheitsgemäß. Als Gauck sich mit dem Anwalt in dessen Büro traf, um mit ihm über den Fall zu reden, sagte Schnur zu seinem Besucher: »Jetzt gehen wir aber mal raus in den Wald, ich werde bestimmt abgehört.« Sie verließen das Büro, um sich bei einem Spaziergang im Freien zu unterhalten. Anschließend berichtete Schnur den Verlauf des Gesprächs an die Stasi. »Das stand dann später in den Akten«, erinnerte sich Gauck. Dem MfS gelang es weder mit Hilfe von Schnur noch eines der anderen zahlreichen auf Gauck angesetzten IM , ihm eine Beteiligung an der nächtlichen Malaktion nachzuweisen.
Es war nicht das erste Mal, dass die Wege von Gauck und Schnur sich kreuzten, und es sollte auch nicht das letzte Mal sein. Nie sollten sich ihre Begegnungen als Segen für den Pastor erweisen. Gauck senior wollte damals das Haus seiner Mutter in Wustrow verkaufen, weil er zwar Eigentümer war, das Gebäude aber gegen den Willen der Familie und rechtswidrig vom Kombinat Starkstromanlagenbau Magdeburg genutzt wurde. Eine Klage dagegen war in zwei Instanzen erfolglos geblieben. Wolfgang Schnur wurde beauftragt, einen Käufer dafür zu finden. Er zeigte zunächst Interesse, das Anwesen für einen Bruchteil seines 168 tatsächlichen Wertes selbst zu erwerben. Die Gaucks lehnten dankend ab. Später vermittelte IM »Torsten« bzw. IM »Dr. R. Schirmer« noch weitere Interessenten, ein Verkauf kam jedoch nicht zustande.
Sonderbare Reisemöglichkeiten
In diesem ereignisreichen Herbst des Jahres 1985 geschah etwas Merkwürdiges. Im Oktober erhielt Joachim Gauck ein fünftägiges Dienstvisum für einen Besuch in West-Berlin, um an einer Tagung mit dem Präsidium der evangelischen Kirchen der Bundesrepublik teilnehmen zu können. Dass er nach drei Jahren »Reisesperre« durch die Stasi wieder in den Westen reisen durfte, war höchst erstaunlich angesichts der laufenden Ausreiseanträge seiner Söhne und der Ermittlungen der Rostocker Stasi gegen ihn im OV »Signal«. Die Treffen zwischen den Kirchentagspräsidien aus der DDR und der Bundesrepublik hatten für die Kirchenpolitiker der DDR hohen Stellenwert, da im Westpräsidium prominente Spitzenpolitiker wie Richard von Weizsäcker und zahlreiche Befürworter der Entspannungspolitik aus Kirche und Politik vertreten waren. Joachim Gauck erklärte die Tatsache, dass ihm als Mitglied des Kirchentagspräsidiums der DDR die Reise gestattet wurde: »Der Staat hätte eine Verweigerung der Ausreise eines Präsidiumsmitglieds irgendwie erklären müssen. Auch hätten andere mir verbundene Präsidiumsmitglieder aus Solidarisierung mit mir der Begegnung fernbleiben können. In der Richtung könnten Manfred Stolpe und andere staatsnahe Vertreter beim Staat meine Ausreise befürwortet haben.«
Schon im April des folgenden Jahres wurde ihm die nächste Dienstreise in die Bundesrepublik genehmigt, diesmal zu einer Tagung des Präsidiums des evangelischen Kir 169 chentages in Fulda. Mehr noch als die Tatsache, dass Gauck angesichts der Gesamtsituation überhaupt wieder in den Westen reisen durfte, verblüffte die Häufigkeit. Von 1987 bis zur Wende 1989 erhielt er elf Mal die Erlaubnis, nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik zu fahren. Es schien, als ob es für ihn in dieser Hinsicht keine Grenzen mehr gäbe. Ab dem 28. Juli 1987 besaß er, wie andere DDR -Bürger,
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