Gauck: Eine Biographie (German Edition)
zur Kinderdiakonin machte. In ihrer Freizeit tingelte sie mit einer christlichen Band, in der auch zwei Söhne des Pastors Christoph Kleemann spielten, durch die Dörfer Mecklenburgs. Oft traten sie bei kirchlichen Veranstaltungen auf. Alles sah danach aus, als würde Gesine in die Fußstapfen ihres Vaters treten. Die auch bei ihr vorhandene Sehnsucht nach Freiheit und nach dem Westen ließ sie sich nicht anmerken, sondern machte aus der Not eine Tugend. Wie einen Schutzschild trug sie – ähnlich wie ihr Vater – demonstrativ den Satz »Ich bleibe hier!« vor sich her.
1987 kam eine Gruppe junger Christen aus der Bremer Partnergemeinde zu Besuch nach Rostock. Gesine verliebte sich in einen der jungen Männer, und plötzlich war alles ganz anders. Ihr Freund war bereit, für die Freundin in die DDR zu ziehen. Alle, auch Joachim Gauck, rieten ihm davon ab. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Wechsel des jungen Mannes vom Westen in den Osten die Basis für eine glückliche Beziehung zu seiner Tochter sein konnte. Weiser als zuvor bei seinen Söhnen, legte er Gesine keine Steine in den Weg, als auch sie sich entschied, für eine gemeinsame Zukunft mit ihrem Freund die DDR zu verlassen. Für Gesine war es die Möglichkeit, sich von ihrem Vater und seinem Lebensprogramm zu lösen. »Ich hatte in der DDR genauso gelitten wie meine Brüder. Ich wollte 175 aber nicht gehen – auch weil ich es meiner Familie nicht antun und dem Vorbild meines Vaters folgen wollte.« Jetzt bot sich die Chance, der DDR den Rücken zu kehren, ohne dass die Eltern und Großeltern ihr böse sein konnten. Dass eine Frau ihrem Mann folgt, passte in das Weltbild der älteren Familienmitglieder. »Das war die Möglichkeit für mich, meine Freiheit zu bekommen, ohne andere Menschen vor den Kopf zu stoßen«, erinnerte sich Gesine Gauck, »die Liebe war mein Schlüssel zur Freiheit.«
Im Mai 1989 heiratete das Paar im Rostocker Standesamt. Einen Monat später konnte Gaucks Tochter im Zuge der bei Eheschließungen gesetzlich geregelten Familienzusammenführung legal aus der DDR ausreisen. Für die Eltern war der Weggang von dreien ihrer vier Kinder eine Tragödie. Als Gesine die DDR verließ, war ihre Mutter nicht anwesend. Sie war auf einer Westreise und besuchte ihre Tante in Nürnberg. Ihr Mann griff zu seinem bewährten Mittel, um die Situation zu verarbeiten. Er stürzte sich in die Arbeit wie eh und je, war oft unterwegs und verdrängte weitgehend, was ihm familiär widerfuhr. »Jeder hat das für sich selber ausgemacht von den beiden«, beobachtete Beate Brodowski, die alte Freundin der Familie. Wie die Eltern mit diesen Schicksalsschlägen umgingen, beschrieb sie lakonisch. »Jochen setzte sich ins Auto und hatte zu tun. Das war für seine Frau nicht schön. Hansi stand in der Küche und weinte.« Im August 1989 wurden Gesine und ihr Mann durch ihren Vater in Bremen kirchlich getraut. Es war ein Zeichen seiner Liebe und zugleich die Absolution für ihr Weggehen. Zur Hochzeit hatten Joachim Gauck samt seiner Frau und der jüngsten Tochter Katharina erneut in den Westen fahren dürfen. Normalerweise ließ die DDR in solchen Fällen nie alle Familienmitglieder gleichzeitig ausreisen, sondern behielt »Geiseln« zurück. Joachim Gauck 176 vermutete dazu: »Vielleicht haben die gedacht, ich komme nicht zurück.« Ob es damals tatsächlich im Kalkül der Stasi lag, Gauck auf diese Weise loszuwerden, oder aber ob es sich um einen Teil ihrer Strategie handelte, ihn als IM zu werben, wird sich nicht mehr klären lassen.
Der Kirchentag 1988
Als der nächste Kirchentag, der 1988 wiederum in Rostock stattfand, vorbereitet wurde, übertrug man Joachim Gauck am 1. Januar 1986 erneut die Aufgabe des Vorsitzenden des Kirchentagsausschusses für den Kirchentag in Mecklenburg 1988, so die exakte Bezeichnung. Die Rahmenbedingungen waren ähnlich wie fünf Jahre zuvor. Unter dem Motto »Brücken bauen« sollte auch diesmal ein umfangreiches Programm stattfinden, das die unterschiedlichsten Alters- und Interessengruppen ansprechen sollte. Rund achtzig Veranstaltungen fanden schließlich an vier Tagen im Juni 1988 statt. Eine damalige Mitarbeiterin Gaucks erinnerte sich an dessen besondere Stärke, seine Helfer und Mitstreiter zu begeistern und zu motivieren: Die »Feinheiten der Organisation waren nicht seine Sache, aber er konnte die Arbeit der anderen wertschätzen und begeistern«.
Unter den Rostocker SED -Funktionären herrschte erneut
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