Gauck: Eine Biographie (German Edition)
einzigen Punkt gab es eine Übereinstimmung: Der Exodus der DDR -Bewohner musste ein Ende haben. Gauck zeigte sich »gewillt, einen positiven Beitrag« zu diesem Problem zu leisten. Vor diesem Hintergrund sei es dringend notwendig »die Attraktivität des Sozialismus entscheidend zu steigern«, erklärte Gauck weiter, damit »die Bürger ein echtes Heimatgefühl entwickeln« könnten. Diese Aussage war kein besonderes Zugeständnis an die Staatsmacht, sondern seine seit Jahren gehegte und gelebte Überzeugung. Gauck sicherte zu, in seiner Gemeinde darauf hinzuwirken, dass Übersiedlungswillige in der DDR blieben. Terpe wiederum dankte Gauck für die langfristige gute Zusammenarbeit mit dem Staat bei der Vorbereitung und Durchführung des Kirchentages. Ein Dank, den er explizit auch als Dank der Stasi übermittelte.
Dann packte er das Zuckerbrot aus, das dazu beitragen sollte, Gauck und das MfS einander ein Stück näherzubringen. Gaucks Mutter hatte für ihre beiden in den Westen übergesiedelten Enkel Christian und Martin einen Antrag auf Einreise in die DDR zur Feier ihrer Goldenen Hochzeit am 22. Oktober 1988 gestellt. Das MfS machte es möglich – entgegen der üblichen Praxis, nach der Ausgereiste auf eine Liste gesetzt wurden und für mehrere Jahre nicht mehr in die DDR einreisen durften. Terpe hielt in seinem Protokoll 185 fest: »Gauck wurde durch den Mitarbeiter erklärt, dass der beantragten Einreise seiner in die BRD übergesiedelten Kinder durch die zuständigen staatlichen Organe zugestimmt wird und dass der Einreise seiner Kinder nichts mehr im Wege steht. Gauck zeigte sich bei dieser Äußerung des Mitarbeiters sehr bewegt und erklärte, dass er seit Jahren an der Übersiedlung seiner Kinder merklich zu leiden habe, dass ihn das stark belaste und letzten Endes auch er versagt hat und nicht alles dafür getan hat, dass seine Kinder in der DDR blieben.«
Dass Gauck von dem Zugeständnis des Staates berührt war, kann man nachvollziehen. Dass Terpe dagegen in dem Gespräch »gegenseitige Akzeptanz« verspürte und zur Auffassung gelangte, Gauck werde »seine Haltung zum MfS überdenken«, ist unbegreiflich angesichts der vorausgegangenen Attacken des Pastors auf Terpes Arbeitgeber. Zudem hatte Gauck keinen Zweifel daran gelassen, dass Terpe ihn zwar im Bedarfsfall anrufen könne, »dass er aber zu einem ständigen regelmäßigen Kontakt nicht bereit sei«. Schließlich hatte Gauck angekündigt, dass er seinen Landesbischof Christoph Stier über das Gespräch informieren werde und diese Ankündigung sogleich in die Tat umgesetzt. Christoph Stier bestätigte, dass Gauck ihn über das Gespräch informiert hatte. Damit war Joachim Gauck nicht mehr in der Gefahrenzone, denn wer sich der Konspiration verweigerte, für den war nach den üblichen Regeln im Umgang mit der Stasi das Thema Anwerbung vom Tisch.
Terpe aber wollte sich damit nicht abfinden und verkündete stasiintern: »Im Ergebnis des heutigen Gespräches ist einzuschätzen, dass die bisherigen Wertungen zur Person Gauck einer Präzisierung bedürfen. Es wird vorgeschlagen, den OV ›Larve‹ zu archivieren und einen IM -Vorlauf anzulegen.« Nach einer derartigen Akte wurde später mehr 186 fach intensiv gesucht, ohne dass auch nur ein Hinweis darauf gefunden wurde. Das Motiv Terpes war dem letzten Satz seines Protokolls zu entnehmen: »Hierbei ist zu beachten, dass Gauck höchstwahrscheinlich auf die Person des jetzigen Mitarbeiters am ehesten positiv reagiert, und es erscheint unzweckmäßig, einen weiteren Mitarbeiter in die Kontaktgestaltung zu Gauck einzubeziehen.« Der neue Mann wollte den dicken Fisch Gauck selber an Land ziehen, um das bei seinem Arbeitgeber als Erfolg für sich verbuchen zu können. Der Rostocker Kirchenreferent Manfred Manteuffel kannte Gauck besser und riet von dem Vorhaben ab: »Lasst die Finger von dem Mann. Ich rate euch ab. Nicht Gauck!« Manteuffel war der Meinung, Gauck sei »charakterlich für die Tätigkeit als IM ungeeignet. Er war sehr egoistisch und voreingenommen, ein Mann, der sich immer überall in den Vordergrund geschoben hat.«
Am 21. November 1988 beschloss das MfS tatsächlich die Einstellung des Operativen Vorgangs »Larve« und die Archivierung der knapp zweihundert Seiten umfassenden Akte. Die Begründung lautete: »Im Rahmen der Vorgangsbearbeitung wurde ein maßgeblicher Beitrag zur Disziplinierung von ›Larve‹ erreicht. Aufgrund des Bearbeitungsstandes kann eingeschätzt werden, dass von
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