Gauck: Eine Biographie (German Edition)
seiner Wohnung waren Abhörwanzen installiert.
Lietz hegte damals und auch noch in späteren Jahren keinen Groll gegen Gauck. »Ich konnte doch auf dem Kirchentag reden. Dafür hat Joachim Gauck selber gesorgt.« Nach dem Kirchentag stellte sich Gauck gegenüber der Stasi zudem schützend vor Lietz. Es sei für ihn unverständlich, erklärte Gauck dem MfS -Hauptmann Wolfgang Terpe, dass ein Mann wie Lietz ständigen Repressalien und Gängeleien ausgesetzt sei. Er schätzte ihn als einen streitbaren, zwar sehr komplizierten Charakter ein, der jedoch letzten Endes nur positive Veränderungen für die Gesellschaft wolle. Als Gauck mehr als zwanzig Jahre später Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten wurde, änderte sich der Ton, in dem Lietz über seinen alten Weggefährten sprach. 2010 und 2012 gehörte Lietz zu den Kronzeugen jener DDR -Bürgerrechtler, die Gauck vorwarfen, er sei im Gegensatz zu ihnen selbst nie ein richtiger Bürgerrechtler gewesen.
Als Höhepunkt des Kirchentages 1988 war eine Ansprache von Altbundeskanzler Helmut Schmidt von der Kanzel der Rostocker Marienkirche vorgesehen. »Das war natürlich ein Aufreger«, erinnerte sich Gaucks Mitarbeiterin Dietlind Glüer. Die SED reagierte angespannt und sprach sich gegen die Einladung Schmidts aus. Bei einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Rates des Bezirks Rostock wurden die anwesenden Kirchenvertreter aufgefordert, Schmidt wieder von der Tagesordnung zu streichen. Der Landesbischof Christoph Stier weigerte sich: »Wer soll ihn denn aus 180 laden? Wenn Sie nicht wollen, dass er kommt, müssen Sie das tun.« Zur Überraschung von Gauck und Stier sprang unvermutet der Greifswalder Bischof Gienke der Staatsmacht bei, indem er anregte, die Einladung an den Altbundeskanzler zurückzuziehen. Gauck und Stier waren wie vor den Kopf gestoßen. »Bruder Gienke«, sagte Gauck sinngemäß »das werden wir doch wohl nicht hier erörtern?« Natürlich wussten die beiden nicht, dass Horst Gienke vom MfS als Inoffizieller Mitarbeiter geführt wurde. Stier schrieb im Anschluss an die Beratung einen Brief an Helmut Schmidt, in dem er den Altkanzler erneut bat, nach Rostock zu kommen und seine Einreise mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen. Stier ahnte, dass SED und MfS umgehend davon erfahren würden. Den Brief tippte eine Sekretärin, von der wenig später bekannt wurde, dass sie für die Stasi arbeitete.
Und Helmut Schmidt kam. Am 18. Juni 1988 sprach er von der Kanzel der größten Rostocker Kirche vor zweitausendfünfhundert Zuhörern. Gauck begrüßte ihn. »Helmut Schmidt, Sie sind uns herzlich willkommen.« Die Tonbandabschrift der Stasi von der Rede des Ex-Bundeskanzlers vermeldete »Jubelrufe, langanhaltender stürmischer Beifall«. Der Sozialdemokrat ging auf die Menschenrechtssituation in der DDR ein und sprach sich für eine Vertiefung des Dialogs zwischen den beiden deutschen Staaten aus. Besonders pikiert war die Stasi über die Stelle, in der Schmidt seinen Auftritt als einen »Augenblick der Einheit« bezeichnete.
Zum Umgang zwischen Staat und Kirche gehörte trotz der Auseinandersetzungen um wichtige und weniger wichtige Details des Kirchentages auch, dass man sich offiziell mit großer Höflichkeit begegnete. Gauck lud die Rostocker Vertreter des Staatsapparates während des Kirchentages zu einem Abendessen mit Helmut Schmidt und dessen Frau 181 in den Salon »Seestern« des Hotels Neptun in Rostock-Warnemünde ein. Der Rostocker Oberbürgermeister Henning Schleiff lud umgekehrt wichtige Gäste des Kirchentages zu einem Empfang in den Festsaal des Rathauses ein. Die Veranstaltung war hoch aufgehängt und im Detail mit der Bezirksleitung der SED abgestimmt worden. Die finanziellen Mittel, zwanzig Mark pro Gast, steuerte der Staatssekretär für Kirchenfragen in Berlin bei. Als Geschenk für die Kirchenleute stellte Schleiff eine Erinnerungsplakette und eine Mappe mit historischen Stadtansichten bereit. Vor dem Bankett hielt Gauck eine Rede, in der er den Gastgebern Honig ums Maul schmierte. Er lobte die SED -Verantwortlichen für ihre Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung des Kirchentages, sprach vom konstruktiven Dialog zwischen Kirche und Staat und bedankte sich für die Berichterstattung in den Medien über das kirchliche Großereignis.
Zur selben Zeit wurden die Rostocker Genossen mit »Tagesinformationen« detailliert über den Ablauf des Kirchentages in Kenntnis gesetzt. Generalstabsmäßig waren SED
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