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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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-Mitglieder eingeteilt worden, um an den einzelnen Programmpunkten teilzunehmen und anschließend zu berichten, was sich dort jeweils zugetragen hatte. So wusste die Partei im Detail, wie viele Teilnehmer jede Veranstaltung gehabt hatte, wie die Altersstruktur und die Stimmung gewesen waren. Keine Wortmeldung, kein Thema ging verloren.
    Dann kam die Abschlusskundgebung, und das Westfernsehen berichtete darüber. Der Landesausschuss des Kirchentages hatte entschieden, dass Joachim Gauck die Predigt beim Abschlussgottesdienst halten sollte. Der erklärte sich diese Entscheidung: »Ich redete auf dem Kirchentag, weil ich der Frechste war. Ich war unglaublich aufgeregt. Noch 182 nie hatte ich vor so vielen Menschen gesprochen. Wie sollte ich die allgegenwärtige Kritik formulieren, die ich weder verschweigen wollte noch so anklagend vortragen durfte, dass der Staat künftige Kirchentage hätte verbieten oder zumindest stark behindern können?« Gauck löste dieses Problem durch ein formales Schlupfloch, wie er es im Übrigen regelmäßig tat. Das heißt, er predigte im klassischen Sinne und baute aktuelle politische Bezüge in seine Predigt ein. Über diesen wichtigen Auftritt schrieb er später: »Ich habe alles sorgfältig geistlich eingekleidet, aber Signalwörter ausgesprochen und Themenbereiche erwähnt, an die sich nur wenige Kirchenobere herantrauten.« Einerseits fand Gauck Worte der Ermutigung für die Teilnehmer: »So viele Abgründe warten auf Brücken, die engagierte Menschen bauen. […] Nehmen wir Abschied, Freunde, vom Schattendasein, das wir leben in den Tarnanzügen der Anpassung.« Andererseits war seine Kritik an der Staatsmacht so deutlich, dass er sich später von einigen höherrangigen Kirchenleuten die Frage gefallen lassen musste: »War das jetzt nötig?« So griff Gauck beispielsweise eine der großen Sorgen der Menschen auf, das Wettrüsten zwischen Ost und West, indem er den DDR -Oberen zurief: »Aus unseren Wäldern soll das Teufelszeug der Raketen verschwinden.« Und seine Anspielung auf die Fluchtbewegung aus der DDR »Wir werden bleiben wollen, wenn wir gehen dürfen«, fand dann sogar den Weg in die bundesdeutsche Tagesschau . Ein Jahr vor der friedlichen Revolution in der DDR .
 
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Das Terpe-Protokoll
    Nach dem Rostocker Kirchentag war die Stasi ausnahmsweise zufrieden mit dem Verhalten von »Larve« und sah sich selbst wieder einmal auf dem Weg zum Erfolg. Es sei »ein Wandlungsprozess in positiver Hinsicht«, und »die Tendenz erkennbar, dass ›Larve‹ die Konfrontation mit dem Staat vermeiden will […] Im Nachhinein lässt sich eindeutig aussagen, dass die Versprechen, die Gauck gegeben hat, auch von Herrn Gauck verwirklicht wurden.« Ein neues Ziel für den Organisator des Kirchentages wurde definiert. Entweder sollte die »weitere politische Wandlung« gelingen oder aber die »Entbindung von den überörtlichen kirchlichen Ämtern«.
    Am 28. Juli 1988 kam es auf Wunsch des Stasihauptmanns Wolfgang Terpe zu einem Vier-Augen-Gespräch zwischen ihm und Joachim Gauck in dessen Arbeitszimmer. Ein neuer Mann aus dem Mielke-Apparat sollte die Wende bringen. Terpe nahm das Gespräch heimlich auf und ließ ein neunseitiges wortgenaues Protokoll davon anfertigen. Dieses Dokument, das sogenannte Terpe-Protokoll, belegt zweifelsfrei und durchgehend die unüberbrückbare Distanz zwischen Joachim Gauck und dem MfS . Gauck verhielt sich gegenüber seinem Besucher in fast rüder Weise ablehnend. Nachdem der Kirchentag erfolgreich durchgeführt war, gab es keinen Grund mehr für ihn, den staatlichen Organen schönzutun.
    Er lehne die Methoden des MfS ab, ließ er Terpe wissen, und halte es für sehr nachteilig für dessen Ruf, dass es Menschen dazu zwinge, Spitzel- und Zuträgerdienste zu leisten. Das MfS sei ein Staat im Staate, der durch niemanden kontrolliert werde. Das »übertriebene Feindsuchen« des MfS weise »neurotische Züge« auf. Schließlich sei das Spit 184 zel-Ministerium viel zu groß, mindestens sechzig Prozent seiner Mitarbeiter müsse man entlassen, in der Volkswirtschaft würden Arbeitskräfte ja dringend gebraucht. Einmal in Fahrt, lobte Gauck den Reformkurs Gorbatschows als Modell, um »eine echte innere Bindung der Menschen an die DDR langfristig zu erzeugen«. Er äußerte die Hoffnung auf Pressefreiheit auch in der DDR und bezeichnete das Eingreifen staatlicher Organe in das termingerechte Erscheinen einiger Kirchenzeitungen als »Willkürakt«.
    Nur in einem

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