Gauck: Eine Biographie (German Edition)
einiger über ihn berichtender IM genommen. Dabei war er ohne Aufsichtspersonal allein mit dem Dossier, das das MfS über ihn angelegt hatte, gewesen. Das war ein Fehler, wie Gauck bald schmerzhaft erfahren musste. Er öffnete damit seinen Gegnern Tür und Tor für die Unterstellung, er habe diese Gelegenheit dazu genutzt, belastendes Material aus seiner Akte zu entfernen. Der SPD -Politiker Dankwart Brinksmeier bewertete Gaucks Akteneinsicht in Rostock »auf jeden Fall als illegal«, »geschmacklos« und »als sich dem Verdacht aussetzend, dass er etwas vertuschen will«. Gaucks Intimfeind Peter-Michael Diestel höhnte noch Jahre später: »Das Alleinsein mit seiner Akte gleicht einem Bordellbesuch: Keiner glaubt einem, dass man rein da rauskommt.«
Zu allem Überfluss tauchte zum damaligen Zeitpunkt auch noch das Gerücht auf, Gauck sei homosexuell und ihn verbinde mit seinem Pressesprecher David Gill mehr als nur ihre berufliche Beziehung. Gauck erinnerte sich: »Das 282 kam zeitversetzt, quasi als Zweitschlag. Die Frage hinter vorgehaltener Hand, ist er nicht vielleicht schwul, dieses Muster kannte ich von der Stasi. David Gill und ich haben damals darüber gelacht und uns auf die Schenkel geschlagen.« Offensichtlich waren Kräfte am Werk, mit dem Ziel, den Sonderbeauftragten zu Fall zu bringen. Als Beleg für seine angebliche MfS -Vergangenheit diente auch das Terpe-Protokoll. Jemand, der Gaucks Integrität ein für alle Mal zerstören wollte, hatte es losgelöst von der Akte »Larve« öffentlich gemacht. Die Welt druckte das Papier im April 1991 ab, ein PDS -naher Verlag folgte kurz darauf. Seither schwirrt der Irrtum von MfS -Hauptmann Terpe, es könne ihm möglicherweise gelingen, Gauck als IM anzuwerben, durch unzählige Broschüren, Bücher und Internetauftritte. Gauck war außer sich und bezeichnete die Veröffentlichung von Material aus seiner Akte als »ungeheuerlich«, man wolle ihn offensichtlich zwingen, das Feld zu räumen. Zu Recht sah er sich als das Opfer einer Kampagne und erklärte, dass er nicht an Rücktritt denke.
Hansjörg Geiger setzte sich damals in seinen Porsche, um sich im Rostocker Stasiarchiv persönlich ein Bild über die Vorwürfe zu verschaffen. »Ich bin allein nach Rostock gefahren und habe dort die Original-Akten eingesehen. Zu Gauck sagte ich: ›Ich fahre nach Rostock, ich gehe allein.‹« Geiger kam zum selben Ergebnis wie jeder, der die Akte »Larve« unvoreingenommen liest. Gauck war ein erklärter Gegner des SED -Staates. Ein Opfer der Stasi, keiner ihrer Zuträger. Zugleich stellte der bayerische Jurist fest: »Die Akte war noch verplombt. Ein Entfernen einzelner Blätter oder Manipulieren war danach nicht möglich.« Die Tatsache, dass Gauck sich damals dadurch, dass er die Akten allein einsah, überhaupt angreifbar gemacht hatte, erklärte sich Geiger mit dessen gutherziger Naivität. »Gauck 283 konnte sich gar nicht vorstellen, dass man ihm daraus einen Vorwurf machen könnte, das lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens.« Genauso sah es Gaucks Freund und Abteilungsleiter in der Behörde, Klaus Richter. »Das war ungeschickt. Aber er denkt nicht so, es war ihm fremd, dass man ihm daraus einen Vorwurf machen könnte.«
Gauck stand die Kampagne gegen sich durch und blieb im Amt. Innenminister Schäuble stärkte ihm nach einer internen Untersuchung den Rücken und hielt an ihm fest. Tatsache bleibt, dass Gaucks Karriere im Frühling 1991 auf Messers Schneide gestanden hatte. Wie stark die damals erlittenen Verletzungen beim Sonderbeauftragten waren, lässt sich nur erahnen. In seinen Erinnerungen schweigt er sich zu seinen diesbezüglichen Gefühlen aus.
In der Kritik
Kein anderer Bürgerrechtler stand ab 1991 so im Rampenlicht wie Joachim Gauck. Unter den meisten seiner Mitarbeiter genoss er hohes Ansehen. »Wir Mitarbeiter waren stolz, für die Behörde zu arbeiten und auch für Joachim Gauck. Es war so was Tolles für uns«, schwärmte seine Sekretärin. Stefan Wolle, der von Gauck aufgrund der »Czerny«- Affäre entlassen worden und darum ein unvoreingenommener Zeuge war, sprach zwanzig Jahre später geradezu liebevoll über seinen Ex-Chef. »Er hatte eine Menge natürlicher Autorität und war ein guter Griff für die Behörde. Vor allem: Er hatte Stehvermögen, trotz all der Kritik, die ihn sehr kränkte.«
Die Medien liebten Gauck für seine klaren Worte und Auftritte und räumten ihm in ihrer Berichterstattung einen Logenplatz ein. Den SED - und
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