Gauck: Eine Biographie (German Edition)
worden war, schätzte die Stimmung der Beamten aus Bonn realistisch ein: »Die Bürgerrechtler waren den ›Bundesverwaltis‹ höchst suspekt. In deren Augen waren wir Anarchisten, bestenfalls aktenklauende Romantiker.« Wolle weiter: »Gauck selbst hatte ein offenes Verhältnis zu den Bürgerrechtlern. Aber er hat Geiger bei den Einstellungen gewähren lassen.«
Dass gleichzeitig eine nennenswerte Zahl ehemaliger Mitarbeiter des MfS in der Gauck-Behörde eine Anstellung fand, verschärfte den Konflikt mit den Bürgerbewegten. Bis zur Jahresmitte 1991 stellte die Behördenführung mindestens achtundsechzig ehemalige Hauptamtliche und zwei Inoffizielle Mitarbeiter des MfS ein. Die größte Gruppe von ihnen, rund fünfzig Mann, waren frühere Angestellte der Hauptabteilung Personenschutz des MfS gewesen. Sie galten der Behördenleitung als »normale Wachschutzmitarbeiter, wie es sie überall gibt«. Sie waren zunächst vom Bundesministerium des Inneren übernommen worden und wurden später bei verschiedenen Bundes- und Landesbehörden angestellt.
Weitere siebzehn ehemalige Stasiangestellte waren als 287 Sachbearbeiter tätig und bekamen zunächst befristete Verträge. Alle hatten ihre vorherige Arbeit für das MfS offengelegt, was Gauck und Geiger bekannt war. Ganz besonders sauer stieß den Bürgerrechtlern die Einstellung von zwei hochrangigen ehemaligen MfS -Offizieren auf. Oberst Gerd Bäcker und Oberstleutnant Bernd Hopfer wurden von den Bürgerrechtlern mehr als argwöhnisch beäugt.
Gerd Bäcker war stellvertretender Leiter der zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe im MfS gewesen, quasi des Gehirns des Kraken. Vierhundert Mann hatten in dieser Abteilung aus der Unmenge an Berichten und Daten aus der gesamten Republik die wichtigsten Informationen herausgefiltert und ausgewertet. Ihre Lageeinschätzungen und Vorschläge zur »Feindbekämpfung« gingen an die MfS -Spitze und ans Politbüro der SED . Bäcker, laut seinem Vorgesetzten Klaus Richter »ein analytischer, scharf denkender Mann«, verfügte über besondere Kenntnisse der Struktur der Archive, die es ihm ermöglichten, Informationen über bestimmte Personen oder Vorgänge auch dann aus den Aktenlabyrinthen herauszufiltern, wenn die entsprechende Akte selbst vernichtet worden war. Vor diesem Hintergrund galten seine Fähigkeiten als unersetzlich.
Joachim Gauck musste sich von Anfang an immer wieder dafür rechtfertigen, dass er in seiner Behörde auch auf das Mitwirken ehemaliger Stasimitarbeiter setzte. Über Gerd Bäcker urteilte der Sonderbeauftragte: »Er wusste, wo sich welche Unterlagen befanden, und er konnte sie interpretieren, wenn wir zunächst nur Mutmaßungen anstellten. Er war einer der wenigen kooperativen und umkehrwilligen Stasimitarbeiter, die mit ihren Kenntnissen dem Bürgerkomitee geholfen hatten. Das empfahl ihn für unsere Behörde, und so haben wir ihn eingestellt.«
Der zweite MfS -Obrist, an dem sich die Bürgerrechtler 288 störten, war Oberstleutnant Bernd Hopfer. Er war schon bei der Stasi Bäckers wichtigster Mitarbeiter gewesen und wurde es in der Gauck-Behörde erneut. Seine Personalakte beim MfS enthielt ein Belobigungsschreiben für die Bearbeitung eines BRD -Bürgers wegen »staatsfeindlichen Menschenhandels, die zu dessen Inhaftierung führte«. Damit war die Verhaftung eines Fluchthelfers gemeint. Das allein wäre ein triftiger Grund gegen seine Einstellung gewesen. Außerdem galt er im Hinblick auf seine Recherchefähigkeiten gegenüber Bäcker als weniger wichtig. Dennoch wurde an Hopfer festgehalten. Bäcker, der an allen Fronten isoliert war, brauchte einen Vertrauten und bestand darum auf der Mitarbeit des alten Kollegen. Bei seinen ehemaligen MfS -Kameraden galt er als Verräter, der geschnitten wurde und Drohbriefe bekam, weil er seine Fähigkeiten in den Dienst der »Sieger« gestellt hatte.
Auch der Lebenslauf von Klaus Richter, ab Anfang 1992 Leiter des Referats Sonderrecherche, wies eine Besonderheit auf. Er war früher »Spionagelehrling« bei der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS gewesen und sollte ausgebildet werden, um künftig für das MfS in der Bundesrepublik zu spionieren. Doch dann hatte er die Zusammenarbeit mit dem MfS von sich aus beendet. Der ehemalige Geschäftsführer von Bündnis 90/Grüne war ein Duzfreund von Joachim Gauck aus Volkskammertagen, wo er unter Tränen seine MfS -Vergangenheit offengelegt hatte. Der Sonderbeauftragte holte ihn dennoch in seine Behörde und
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