Gauck: Eine Biographie (German Edition)
getrotzt, war ihre Haltung, um jetzt vor Helmut Kohl zu kuschen. Gauck sah das wohl ähnlich und ließ erkennen, dass zwischen dem Bericht seiner Behörde und der offiziellen Stellungnahme Schäubles »ein Unterschied« bestehe. Deutlicher wollte und konnte er seinen Dienstherrn Schäuble nicht öffentlich kritisieren. Doch das reichte schon, um es Gauck als »Sündenfall« auszulegen. Plötzlich blies dem Sonderbeauftragten der Wind von allen Seiten ins Gesicht. Aus Verfassungsschutzkreisen hieß es, »die Kompetenz Gaucks sei umstritten«. Ein Staatsschützer, der unbekannt bleiben wollte, erklärte der Deutschen Presseagentur, die Behörde »arbeite bisher unprofessionell und dilettantisch«. Im Fall de Maizière habe Gauck es versäumt, »rechtzeitig für eine differenzierte Aufklärung zu sorgen«.
Andere griffen diese gezielt gestreute Kritik auf. Er habe seine eigenen Leute nicht im Griff, warf man ihm vor, es müsse »Lecks« in der Behörde geben. Es sei »unerträglich«, dass gezielt Einzelfälle aus den Stasiakten ausgebreitet würden. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe meinte, so könne es nicht weitergehen. Wie derzeit mit Stasimaterial gehandelt werde, könne zu einer Belastung für das ganze Land werden. Gottfried Forck, der Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, verlangte eine Schließung der Stasiakten und den Verzicht auf eine weitere Suche nach ehemaligen Stasispitzeln. Im Januar 1991 forderte das Bonner Innenministerium den Präsidenten des Bundesarchivs auf, ein Büro beim Sonderbeauftragten einzurichten. Das war schon kein Wink mit dem Zaunpfahl mehr, sondern das Signal, dass es auch ohne die Person Gauck ging. Innenminister Schäuble erklärte in einem Zeitungsinterview, er denke über die Einsetzung einer parla 280 mentarischen Kontrollkommission zur Überprüfung der Arbeit des Stasibeauftragten nach. Gauck beeilte sich, diesen Vorschlag seines disziplinarischen Vorgesetzten zu begrüßen, und verwies darauf, dass er schon vor Errichtung seiner Behörde die parlamentarische Begleitung seiner Aufgaben angeregt habe.
Dann begannen böse Gerüchte die Runde zu machen. Gauck sei selbst Inoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen, wurde in Journalistenkreisen gemunkelt. Hansjörg Geiger erhielt einen Telefonanruf von Schäubles Staatssekretär Hans Neusel. Der informierte Gaucks Direktor darüber, dass drei Rostocker Stasimitarbeiter diesen Vorwurf erhoben hatten. Das war eine Anschuldigung, die Gaucks Karriere als Behördenchef zweifellos sofort zerstört hätte, wäre sie wahr gewesen. Die Kritik am Sonderbeauftragten entpuppte sich als regelrechte Kampagne mit dem Ziel, Gauck von seinem Amt abzulösen. Weitsichtig schrieb die tageszeitung bereits am 30. Januar 1991: »Der I-Punkt der Kampagne gegen ihn und die verhasste Behörde besteht nämlich darin, Gauck als angeblichen informellen Stasimitarbeiter zu denunzieren. Der entsprechende Text soll schon formuliert sein.«
Bald darauf erfuhr ein Millionenpublikum von der angeblichen Stasiverstrickung des Sonderbeauftragten. SUPER illu, die auflagenstärkste Illustrierte in Ostdeutschland, berichtete auf einer Doppelseite: »Das schlimmste Gerücht, Gauck war Stasi-Spitzel«. Der sonst so beredte Sonderbeauftragte verlor kurzfristig seine Eloquenz und verteidigte sich gequält: »Das ist ja völlig unsinnig. Das ist doch abenteuerlich! Sehr interessant! Ich bin da völlig gelassen.« Rücktrittsforderungen gegenüber Gauck wurden laut. Im April 1991 meldete das ZDF »schwere Zweifel«, ob der »Herr der Stasi-Akten« als Behördenchef integer genug sei. Zum Vor 281 wurf, Gauck sei IM gewesen, kam die Anschuldigung hinzu, Gauck habe im vergangenen Jahr im Rostocker Stasiarchiv seine eigene Akte eingesehen, wobei er stundenlang ohne Zeugen allein gewesen sei. Als Gauck vor laufender Kamera von dem ZDF -Redakteur mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, kam seine cholerische Ader in ihm durch. »Ihnen könnte ich gerade eine knallen«, ging er den ZDF -Redakteur an. Gauck zu der Szene zwanzig Jahre später: »Ich konnte nicht fassen, dass man mir so was anhängte. Ich war außer mir, dass mir jemand eine derart perfide Unterstellung machte. Dass ich ihm aber angedroht habe, ihn zu verprügeln, glaube ich nicht.«
Das Problem war, dass der zweite Vorwurf den Tatsachen entsprach. Gauck hatte als Sonderausschussvorsitzender tatsächlich am 2. und 3. August 1990 für mehrere Stunden Einblick in seine Stasiakte und in die
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