Gauck: Eine Biographie (German Edition)
kam aus Sicht der Bonner CDU -Regierung eine weitere »Verfehlung« des Sonderbeauftragten: sein öffentliches Auftreten im Fall »Czerny«. Seit dem Sommer hatten sich Gerüchte gehalten, unter diesem Decknamen verberge sich der letzte Ministerpräsident der DDR , Lothar de Maizière. Im Dezember 1990 fischte ein profunder Kenner der Stasiakten ein folgenschweres Stück Pappe aus dem Aktenlabyrinth des MfS . Es verriet, dass der IM »Czerny« die gleiche Wohnadresse gehabt hatte wie Lothar de Maizière: Am Treptower Park 31. Als das öffentlich wurde, ließ de Maizière, mittlerweile stellvertretender CDU -Bundesvorsitzender, sofort seine politischen Ämter bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen. Der Fall war so brisant, dass Hansjörg 277 Geiger mit dem spärlichen Material, über das die Behörde zu diesem Zeitpunkt verfügte, unter Polizeischutz zum Flughafen fuhr und von dort zu Innenminister Schäuble nach Bonn flog. Geiger zur damaligen Situation: »Wir hatten damals nur ein paar Aktenblätter. Später hätte man daraus keine Schlüsse gezogen. Zu diesem Zeitpunkt aber dachte man, wenn eine Karteikarte existiert, dann ist das ein Beweis. Schäuble ließ sich jedoch nicht von der Hysterie anstecken.«
Der Innenminister beauftragte Gauck mit weiteren Recherchen. Am 22. Januar 1991 lag der Bericht seiner Behörde vor. Danach war klar, dass »Czerny« seit 1982 als IM erfasst war, seit 1984 als Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung. De Maizière stritt ab, mit »Czerny« identisch zu sein und jemals etwas mit der Stasi zu tun gehabt zu haben. Dabei blieb er auch dann noch, als der Führungsoffizier von »Czerny«, Major Edgar Hasse, bestätigte, sich in konspirativen Wohnungen zehn- bis zwölfmal pro Jahr mit de Maizière getroffen zu haben.
Die CDU -Spitze stellte sich wie im Fall Schnur hinter ihren stellvertretenden Parteivorsitzenden. Helmut Kohl zeigte sich »menschlich tief bewegt« und ließ wissen, dass de Maizière weiterhin sein »volles Vertrauen« genieße. Wolfgang Schäuble sah in dem Fall eine »Tragödie« und erklärte, es bestehe »keinerlei zwingender Hinweis«, dass de Maizière von seiner IM -Erfassung gewusst habe. CDU -Generalsekretär Volker Rühe erklärte de Maizière für entlastet, und der nahm daraufhin seine Parteiämter wieder auf. Zwei Mitarbeiter der Stasiunterlagenbehörde, die Historiker Armin Mitter und Stefan Wolle, die das Gutachten verfasst hatten, wollten sich damit nicht abfinden. »Wir konnten es nicht fassen. Wir waren der Meinung, dass das Gutachten sehr eindeutig war.« Erbost gingen die beiden an die 278 Öffentlichkeit und erklärten in der nächsten Ausgabe des Spiegel , Wolfgang Schäuble habe Indizien, die seinen Parteifreund de Maizière belasteten, unterschlagen und das wahre Ausmaß von dessen IM -Tätigkeit heruntergespielt. Aus dem Behördenbericht sei de Maizières Spitzeltätigkeit klar hervorgegangen. Seine Einlassung, er sei womöglich unwissentlich als IM geführt worden, beurteilten sie als »absurd«.
Wolle und Mitter nahmen in Kauf, dass sie mit dieser Aktion ihre Entlassung aus der Behörde provozierten. Stefan Wolle erinnerte sich an seine damalige Haltung. »Nie wieder Kompromisse. Das mussten wir durchexerzieren. Es war eine Frage der Selbstachtung.« Als sie zum Gespräch mit der Behördenleitung zitiert wurden, gossen sie zusätzlich Öl ins Feuer, indem sie Gauck zum Rücktritt aufforderten. Er habe seinen Kredit als Behördenchef verspielt, warfen sie ihm an den Kopf, weil er Schäubles eigenwilliger Interpretation des Gutachtens nicht widersprochen habe. Gauck blieb keine andere Wahl, er musste die beiden entlassen. »Wer Romantiker sein will, hat in der Behörde nichts zu suchen.« Rückblickend gab Wolle zu: »Wir haben ihn dazu gezwungen. Ich hab's damals sehr verbissen gesehen. Das würde ich heute nicht mehr.« Gauck wiederum, der Wolle und Mitter schätzte und ihre Motive nachvollziehen konnte, war unglücklich darüber, so handeln zu müssen. Zum Abschied umarmte er seine beiden Behördendissidenten. Jahre später bot Gauck Wolle in einer großen menschlichen Geste sogar an, in die Behörde zurückzukehren.
Der Sonderbeauftragte geriet im Fall »Czerny« zwischen alle Fronten. Die Bürgerrechtler waren außer sich. Die Entlassung von Mitter und Wolle erfolge, um einen belasteten Spitzenpolitiker reinzuwaschen, kritisierten sie Gauck und 279 warfen ihm vor, er habe damit die Seiten gewechselt. Sie hatten nicht einem Mielke
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