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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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vertraute ihm das sensible Sachgebiet »Sonderrecherche«, später »Spezialrecherche« an und machte ihn damit zum Chef von Bäcker und Hopfer. So entstand die skurrile Situation, dass drei Männer, deren Vergangenheit mehr oder weniger eng mit der Staatssicherheit verknüpft gewesen war, für die Aufgabe verantwortlich waren, die die größte gesellschaftliche 289 Relevanz hatte und auf das höchste Medieninteresse stieß: die Recherche und Erstellung von Gutachten im Fall prominenter Persönlichkeiten, die verdächtigt wurden, IM gewesen zu sein.
    Die beiden ehemaligen Stasioffiziere hatten Zugang zu fast allen Akten und konnten sich unkontrolliert in den Archiven bewegen. Das führte zu jahrelangen Kontroversen. Im Juli 1993 machten Mitarbeiter der Behörde ihrem Unmut in einem offenen Brief Luft, der in der Frankfurter Rundschau abgedruckt wurde. Dass zweieinhalb Jahre nach Gründung der Behörde immer noch Stasimitarbeiter beschäftigt würden, mit unkontrolliertem Zugang zu Karteien und Akten, fanden sie unerträglich. Als noch schlimmer empfanden sie, dass diesen »in inhaltlichen Fragen […] oftmals sogar die entscheidende Deutungskompetenz zugemessen« werde. Auch im Beirat der Gauck-Behörde wurde diese Tatsache hitzig und konfrontativ diskutiert. Vor allem Beiratsmitglied Jürgen Fuchs, Schriftsteller und DDR -Dissident, der 1975 als »Konterrevolutionär« und »Staatsfeind« vom Studium ausgeschlossen worden war, kritisierte Gauck in diesem Punkt unerbittlich, bis hin zur Aufforderung, Gauck und Geiger sollten ihre Meinung zu den ehemaligen MfS -Mitarbeitern korrigieren oder »von ihren Ämtern zurücktreten«. 1998 verließ Fuchs aus Protest gegen die Personalpolitik des Bundesbeauftragten den Beirat der Behörde.
    Gauck fühlte sich durch die persönliche Kritik angegriffen und verletzt – und hielt an seinen Personalentscheidungen fest. Standfest wies er zehn Jahre lang alle Vorwürfe gegen die in seiner Behörde beschäftigten ehemaligen MfS -Mitarbeiter zurück. »Wir können auf ihre Spezialkenntnisse in bestimmten Abteilungen und im Archivwesen des MfS nicht verzichten, denn nicht selten gleichen die langwierigen 290 Forschungen im ungeordneten Material der sprichwörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Besonders bei komplizierten Überprüfungsfällen, bei der Interpretation aus unterschiedlichen MfS -Bereichen ist ihre Mitarbeit wichtig. Wir brauchen sie, um dem gesetzlichen Auftrag in ausreichender Qualität entsprechen zu können.«
    Intern sagte er es weniger staatstragend: »Man kann sie nicht ausquetschen wie eine Zitrone und dann wegschmeißen.« Hansjörg Geiger formulierte es ähnlich: »Ich hielt es für unanständig, die Leute zu feuern, jetzt, wo man sie im Prinzip nicht mehr brauchte. Bäcker blieb jedoch für uns unersetzlich bis zum Schluss.« David Gill ist bis heute der gleichen Auffassung. »Ohne ihn hätten wir die Dinge nie gefunden.« Was die damalige Führung der Behörde nicht sagte: Gerd Bäcker war ihre Top-Quelle über das ehemalige Ministerium der Staatssicherheit schlechthin. Der ranghöchste Stasioffizier, der der Behörde als dauerhafter Informant zur Verfügung stand. Bäcker war viel mehr als nur ein Rechercheur. Er war der Schlüssel zur Kammer des Wissens über das MfS . Er war es gewesen, der bereits am 15. Januar den Zentralen Runden Tisch über die Existenz der OibE , ihre Aufgabenstellung und wo man sie zu suchen hatte, ausführlich informiert hatte. Und es war Bäcker, der die entscheidenden Informationen in den Fällen de Maizière, Stolpe und Gysi beschaffte, in denen keine eigentlichen IM -Akten mehr existierten. Ohne ihn wären die Lücken in den Archivbeständen, die die Vernichtungsaktionen der Stasi 1989/90 geschlagen hatten, nicht zu schließen gewesen. 291

Das Stasiunterlagengesetz
    Um die endgültige gesetzliche Reglung, wie mit den Stasiunterlagen umgegangen werden sollte, wurde, auch in Anbetracht der ständigen spektakulären Enthüllungen, lange gerungen. Im April 1991 drohte Gauck sogar mit seinem Rücktritt, sollte das Aktengesetz nicht die historische und politische Aufarbeitung der Staatssicherheit gewährleisten, wie es ihm im Herbst 1990 in Bonn zugesagt worden war. Mehr als ein Jahr nach der Gründung der Behörde wurde das Stasiunterlagengesetz am 28. Dezember 1991 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Erst damit bekam die von Gauck geführte Organisation endlich ihre gesetzliche Grundlage. Ihre offizielle Bezeichnung

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