Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Stasikadern jedoch standen die Akten nach wie vor im Weg. Sie fürchteten sich vor 284 dem, was die Archive über sie preisgeben könnten, und konzentrierten ihre Ängste, ihre Wut und ihren Widerstand zunehmend auf den Mann, der diese Akten nach dem Willen der neuen politischen Machthaber verwalten sollte. So wurde Gauck nicht nur zur Symbolfigur für die Aufarbeitung der MfS -Vergangenheit nach der Wende, sondern zugleich zum Hassobjekt der Linken. Mehrfach versuchten seine linken Gegner, ihn politisch zu diskreditieren, und schreckten dabei vor Intrigen nicht zurück.
Zu dieser Feindschaft trug Joachim Gauck einen gehörigen Teil bei. Gelegentlich schürte er mit Genuss das Feuer der gegenseitigen Aggression. Mal piesackte er seine Gegner: »Wenn ich von den Kommunisten angegriffen werde, das adelt mich«; ein anderes Mal stichelte er: »Es ist wunderbar, die richtigen Feinde zu haben und im Visier der Ewiggestrigen zu sein«. Seine kompromisslose Weigerung, etwas Positives im SED -Staat zu sehen, musste polarisieren. Gauck hatte seine antisozialistische Haltung zeit seines Lebens demonstrativ vor sich hergetragen. Der Tagesspiegel bezeichnete ihn deswegen einmal als »Antikommunist von Gottes Gnaden«.
Ein besonders eindrückliches Beispiel für das unerschütterliche, gelegentlich martialische Auftreten des Sonderbeauftragten gegenüber ehemaligen Stasimitarbeitern ist der Fall von Heinrich Fink, Theologieprofessor und Rektor der Humboldt-Universität, der als IM »Heiner« für das MfS gearbeitet hatte. Fink wurde nach der Aufdeckung dieser Tatsache durch die Stasiunterlagenbehörde 1992 vom Berliner Wissenschaftssenator fristlos entlassen. Die Magnifizenz reagierte wie fast alle enttarnten IM : Er leugnete und erklärte, dass es sich um eine Kampagne gegen ihn handle mit dem Ziel, »eine eigenständige demokratische Entwicklung auf dem Gebiete der ehemaligen DDR zu verhindern«. 285 Fink klagte gegen seine Entlassung und verlor durch alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof.
Die Empörung unter Teilen der DDR -Intelligenzija war groß. Wortwütig fiel sie über den Überbringer der schlechten Nachricht her, als habe er den Rausschmiss des Rektors selbst verfügt. Der Schriftsteller Christoph Hein interpretierte die Entlassung Finks als »Drohung gegen alle Menschen, die sich nicht als willfährig erweisen«. Sein Berufskollege Stefan Heym polterte, selbst bei der Inquisition sei es milder zugegangen als bei der Gauck-Behörde, und der Journalist Günter Gaus bezeichnete Gauck als »nicht frei von Besessenheit«. Tausende Studenten demonstrierten für ihren Rektor vor der Behörde und übergaben einen Protestbrief. Am Abend stellten sich Gauck und Geiger im großen Hörsaal der Universität den Studenten. Über der Eingangstür hatte Gauck ein Transparent mit der Aufschrift »Schluss mit der Gaucklerei« empfangen. Die Stimmung im Saal war geradezu feindselig. Die Studenten johlten und deklamierten: »Unsern Heiner nimmt uns keiner!« und »Gauckler in den Zirkus!«. Als der Bundesbeauftragte endlich zu Wort kam, schleuderte er der Menge entgegen: »Gelassen und voller Freude erwarte ich die Proteste einer PDS -gesteuerten Hochschulöffentlichkeit.« Dazu reckte er den buhenden Studenten lutherisch die Faust entgegen. Hansjörg Geiger war der Meinung, dass Gauck damals die Stimmung bewusst aufgeheizt habe: »Das stachelte ihn aber nur an. Daraus sog er Kraft.«
Neben den ganz linken Kräften waren auch Teile der Bürgerrechtsbewegung unzufrieden mit der Amtsführung des Bundesbeauftragten. Einige von ihnen sahen ihre Leistung während der friedlichen Revolution und bei der Demontage des MfS nicht genügend gewürdigt. Als es darum ging, ihr zurückliegendes Engagement mit einer Anstel 286 lung in der Gauck-Behörde zu entlohnen, gingen manche von ihnen, die sich um eine Stelle in der Behörde beworben hatten, leer aus. Bis Mitte der neunziger Jahre wurden dreitausendfünfhundert Mitarbeiter eingestellt, doch nur rund achtzig von ihnen stammten aus dem Bürgerrechtslager. Es war nicht so, dass Gauck ihre Einstellung abgelehnt oder verhindert hätte. Der Personalaufbau unterhalb der Ebene der Führungskräfte war, wie in einer Behörde dieser Größenordnung üblich, nicht seine, sondern die Sache seiner Mitarbeiter. Die Beamten des Bonner Aufbaustabes schüttelten sich innerlich, wenn wieder einer dieser eifernden Bewerber mit Rauschebart und in Jesuslatschen vor ihnen saß. Stefan Wolle, der eingestellt
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