Gaunts Geister - Band 1-3
vollständig
angekleidet, mit Jacke und Mütze, und seine Miene war grimmig. Eine hochgewachsene
Frau in Schwarz mit einer eigenartig böswilligen Ausstrahlung wartete neben
ihm.
»Diese Dienerin des Imperators
will dir ein paar Fragen stellen«, erläuterte Gaunt. Er nahm davon Abstand, das
Reizwort »Inquisitorin« zu benutzen. »Antworte ihr aufrichtig und direkt.«
Wortlos führte Lilith sie durch
den langen Niedergang und in den Andockring. Sie gingen in die eigentliche Hexathedrale.
Milo war ängstlich. Bis jetzt hatte er noch keinen Fuß auf die riesige
Andockstation gesetzt. Nach der stickigen Feuchtigkeit im Truppentransporter
roch es hier anders, heilig und kühl, und die Größe der Räume, die sie passierten,
erschreckte ihn. Die einzigen Personen, denen sie begegneten, waren Diakone in
Roben, braun gerüstete Soldaten und kleine Gruppen von Offizieren.
Es war eine andere Welt.
Lilith führte sie zwanzig
Minuten durch mehrere Hauptkapellen und Kammern der Hexathedrale, darunter auch
das Planetarium.
Gaunt verstand ihre Taktik. Der
Weg war übermäßig und unnötig lang, würde aber den Jungen entwaffnen, Scheu und
Ehrfurcht in ihm wecken und so seine psychologischen Reserven schwächen.
Ihre Schläue grenzte an
Grausamkeit.
Sie erreichten eine Schleuse am
Ende eines langen Korridors, die von Buntglasfenstern flankiert war. Lilith
gestikulierte kurz, und die Schleuse öffnete sich. Sie winkte den Jungen hinein
und wandte sich auf der Schwelle Gaunt zu, um mit ihm zu reden.
»Sie dürfen zugegen sein, aber
nicht eingreifen oder unterbrechen. Gaunt, Sie sind ein wertvoller Offizier,
und wenn sich dieser Junge als verdorben erweisen sollte, kann ich dafür
sorgen, dass Sie mit einem leichten Verweis dafür davonkommen, dass Sie ihn
nicht durchschaut haben.«
»Ein großzügiges Angebot. Wie
lauten die Bedingungen?«
Lilith lächelte. »Wir sind
Instrumente, die sich gegenseitig ergänzen, Kommissar. Meine Pflicht besteht
darin, die Verdorbenheit aufzuspüren, während Ihnen die Bestrafung obliegt.
Wenn Milo verdorben ist, werden Sie sich dadurch entlasten, dass Sie die
summarische Exekution selbst übernehmen. Damit werden Sie Ihre Empörung
demonstrieren und Ihre Entschlossenheit, reinen Tisch zu machen.«
Gaunt schwieg. Die Vorstellung
setzte ihm zu.
»Es gäbe keinen anderen Weg,
Ihren Ruf, Ihr Kommando und Ihre Karriere zu retten. Tatsächlich könnte sogar
Ihr Leben verwirkt sein, falls man glauben sollte, Sie hätten sich verschworen,
ein Werkzeug der Finsternis zu schützen. Haben Sie mich verstanden, Gaunt?«
»Ich höre, wie Sie mein Leben
und meine Zukunft bedrohen. Es ist mein Beruf, Bedrohungen ausgesetzt zu sein.«
»Dann will ich noch offener
sein. Sturm hat diesen Vorgang initiiert, weil er darin eine Möglichkeit sieht,
Sie und Ihre Geister zu Fall zu bringen. Wenn Milo verdorben ist und Sie sich
nicht von ihm distanzieren und wie ein Kommissar handeln, ist Ihr Leben vorbei
— und Sturm wird dafür sorgen, dass die Geister aufgelöst werden. Er hat Bulledin
bereits auf den Gedanken gebracht, wenn ein Geist eine Hexe ist, könnte es auch
noch mehr unter ihnen geben. Das Erste Tanith würde bis auf den letzten Mann der
Inquisition vorgeführt und jeder Einzelne einer eingehenden Untersuchung
unterzogen. Die meisten würden sterben. Den Rest würde man als nicht länger für
den Dienst in der Imperialen Armee geeignet ausmustern. Ich bin verpflichtet,
Sturms Anschuldigung nachzugehen. Ich will nichts mit dieser Vendetta gegen die
Tanither zu tun haben, aber das lässt sich nicht vermeiden, wenn Sie nicht anpassungsfähig,
bereitwillig und ehrenhaft handeln.«
»Ich verstehe. Vielen Dank für
Ihre Offenheit.«
»Das Chaos ist die größte
Bedrohung für die Menschheit, Gaunt. Wir können keine psionischen Kräfte in
einem unausgebildeten Geist dulden. Wenn der Junge vom Chaos berührt wurde,
muss er ausgelöscht werden.«
»Und nicht von den Schwarzen
Schiffen begutachtet werden — wie Sie?«
Sie musterte ihn mit scharfem
Stirnrunzeln. »Diesmal nicht. Die politische Situation ist zu heikel. Wenn Milo
eine Hexe ist, muss er sterben, um alle Parteien zu beschwichtigen.«
»Ich verstehe.«
Sie nickte und ging hinein.
Gaunt hielt noch kurz inne und stellte fest, dass er auf seine gehalfterte
Boltpistole starrte. Konnte er es tun? Das Leben jedes einzelnen Geistes mochte
davon abhängen, dass er Milo opferte, und nachdem er die Geister so weit
gebracht hatte, nachdem er sie
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