Gaunts Geister - Band 1-3
gerettet und ihrem Leben einen Sinn gegeben
hatte, glaubte er nicht, dass er das einfach würde wegwerfen können. Er
schuldete es den Tanithern, dass er alles in seiner Macht Stehende tat, um sie
zu schützen. Aber Brin hinzurichten — den Jungen, der ihm selbstlos das Leben gerettet
hatte, aufopferungsvoll diente ... Es lief seiner persönlichen Ehre so sehr
zuwider, dass der Gedanke seine Brust einschnürte.
Aber wenn der Junge tatsächlich
mit dem unerträglichen Makel des Chaos behaftet, wenn er wirklich verdorben war
...
Mit kalter, grimmiger Miene
folgte er Lilith, und die Schleuse schloss sich mit leisem Säuseln hinter ihm.
Der Raum war groß und hoch. Es fehlten
Fenster in den Wänden, aber dafür gab es ein kreisrundes Bullauge in der Decke.
Sterne funkelten von oben herunter, und abgesehen von ihrem Licht gab es nur
noch das von einigen matten Lampen, die am Rande des Bodens angebracht waren.
Ein Teppich lag auf dem Boden, ein hochfloriger, bunter Webteppich mit dem
imperialen Adlerwappen. Zwei Sitzgelegenheiten standen einander in der Mitte
des Teppichs gegenüber — ein hochlehniger Holzthron mit gedrechselten Armlehnen
und ein kleinerer hölzerner Hocker.
Lilith setzte sich auf den
Hocker und bedeutete Milo, auf dem viel größeren Thron Platz zu nehmen. Dessen hölzerne
Umarmung schien ihn förmlich zu verschlingen. Gaunt hielt sich im Hintergrund
und schaute voller Unbehagen zu.
»Ihr Name?«
»Brin Milo.«
»Ich bin Lilith. Ich bin
Inquisitorin.« Also war das Wort schließlich doch gefallen und hing wie eine
Drohung in der Luft.
Milos Augen waren geweitet und
ängstlich.
Sie befragte ihn über Tanith,
seine Vergangenheit und sein Leben dort. Er antwortete, zögerlich zunächst,
doch je mehr Fragen gestellt wurden — unschuldige, harmlose Fragen zu seinen
Erinnerungen —, desto zuversichtlicher wurde er.
Sie forderte ihn auf, seine
erste Begegnung mit Gaunt zu schildern, seine Erinnerungen an den Fall von
Tanith und was ihn bewogen habe, dort für Gaunt zu kämpfen.
»Warum? Sie waren kein Soldat.
Sie sind auch jetzt kein Soldat. Warum haben Sie diesen Fremdweltler
verteidigt, den Sie kaum kannten?«
Milo warf einen flüchtigen
Blick auf Gaunt. »Der Elektor von Tanith, dessen Haus ich als Musiker und
Gefolgsmann gedient habe, hatte mir befohlen, beim Kommissar zu bleiben und
mich um seine Bedürfnisse zu kümmern. An dieser Stelle waren seine Bedürfnisse
sehr offenkundig. Er wurde angegriffen und hatte praktisch keine Aussicht zu überleben.
Ich habe nur getan, was man mir befohlen hatte.«
Sie lehnte sich zurück und
schlug mit den Fingern einen Trommelwirbel auf ihren Knien. »Ich finde es
interessant, Milo, dass Sie noch nicht gefragt haben, warum diese Befragung
stattfindet. Die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, verleihen
normalerweise ihrer Empörung Ausdruck, versichern ihre Unschuld und können sich
nicht erklären, warum ihnen das widerfährt. Aber Sie tun das nicht. Meiner
Erfahrung nach wissen die Schuldigen immer, warum sie hier sind, und fragen nur
selten. Wissen Sie, warum Sie hier sind?«
»Ich kann es mir denken.«
Gaunt erstarrte. Falsche
Antwort, Brin, falsche Antwort ...
»Dann denken Sie laut«,
forderte sie ihn auf.
»Wie ich höre, können Sie sich
bemerkenswert gut Dinge denken.«
Milo schien zu zittern.
»Viele halten mich für einen
Außenseiter. Einige Tanither wollen mich nicht um sich haben. Ich bin nicht wie
sie.«
Feth, Milo! Ich sagte, antworte
ehrlich, aber es gibt Ehrlichkeit, und es gibt das hier!, dachte Gaunt finster. Sein
Puls raste.
»Wie meinen Sie das? Inwiefern
sind Sie nicht wie sie?«
»Ich ... Ich bin anders. Das
macht sie nervös.«
»Inwiefern sind Sie anders?«,
fragte sie fast begierig.
Jetzt kommt es, dachte Gaunt.
»Ich bin kein Soldat.«
»Sie sind — was?«
»Die anderen sind alle
Soldaten. Deswegen sind sie hier, deswegen haben sie den Untergang Taniths
überlebt. Sie waren allesamt frisch gemusterte Gardisten, die Tanith ohnehin
verlassen sollten, und der Kommissar hat sie nur wegen ihres Werts für den
Imperator evakuiert. Aber ich bin keiner. Ich bin Zivilist. Ich dürfte gar
nicht hier sein. Ich hätte nicht überleben dürfen. Die Tanither sehen mich und
denken: >Warum hat dieser Junge überlebt? Warum ist er hier? Wenn er hier
ist, warum dann nicht auch mein Bruder, meine Tochter, mein Vater, meine
Frau?< Ich stehe für eine Möglichkeit des Überlebens, die allen anderen verwehrt
geblieben
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