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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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schönen Apriltag zwei junge Männer auf den drei höchsten Dächern der Stadt mit allerfeinsten, kaum sichtbaren Drähten hantieren sehen, sodass die meisten Schaulustigen glauben, sie zögen nichts weiter als Göttinger Luft durch ihre Hände straff. Ein absurder Anblick von da unten. Auch scheinen sie in ihrem Geschäft nicht allzu geübt zu sein. Denn ständig reißen ihnen die feinen Silber- und Kupferdrähte entzwei, worauf sie wieder von vorn beginnen müssen und vermeintlich in die Luft greifen. Erst als die schwindelfreien Kletterer schließlich mit einer großen Bindfadenspule erneut in luftiger Höhe auftauchen und die feinen Kupferdrähte damit stabilisieren, wird die ein Kilometer lange doppelte Drahtverbindung zwischen Physikalischem Kabinett und Sternwarte für viele flüchtige Beobachter überhaupt erst sichtbar.
    Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass einer der beiden Balancekünstler der erst achtundzwanzigjährige, rührige Physikprofessor Wilhelm Weber sein soll, der andere ein namenloser Student. Weber ist, das wissen viele Göttinger, ein Freund des berühmten Gauß. Seit dessen Frau gestorben und der berüchtigte Sohn nach Amerika ausgewandert ist – die Familienehre soll der schlimme Bube besudelt haben –, sind der junge Professor und der wortkarge Witwer offenbar unzertrennlich. Mancher besorgte Passant fragt sich allerdings, ob die gefährliche Turnerei auf den Dachfirsten überhaupt vom Stadtmagistrat genehmigt sei. Und ganz Schlaue stellen sich gar die Frage nach dem Sinn der ganzen Strippenzieherei, ob diese gelehrten Herren nichts Wichtigeres zu tun hätten und wie viel Geld dieser Schildbürgerstreich die Steuerzahler wohl kosten möge. Die Sorge ist nicht ganz unberechtigt, denn bei einem Jahresbudget von lediglich 150 Talern für die Sternwarte fehlt Gauß und Weber eigentlich das Geld, um genügend Draht zu kaufen. Deshalb springt Humboldt ein und schickt aus Berlin 800 Meter königlich preußischen Draht, der als Eigentum der Akademie jedoch nur als Leihgabe gedacht sein kann [Sei: 78].
    Zur gleichen Zeit liegt dem Königlichen Universitäts-Kuratorium in Hannover der Antrag von Hofrat Gauß vor, «das Bedürfnis eines besonderen Lokals für magnetische Beobachtungen betreffend». Dieses «Lokal» wird im März 1833 genehmigt. Das zukünftige Magnetische Observatorium soll auf einem freien Platz hundert Schritt westlich der Sternwarte errichtet werden. Es wird zehn Meter lang, fünf Meter breit und drei Meter hoch sein, ein besserer Geräteschuppen. Doppeltüren und Doppelfenster sorgen allerdings dafür, dass kaum ein Luftzug entsteht. Und das Besondere: «Im ganzen Gebäude ist ohne Ausnahme alles, wozu sonst Eisen verwandt wird, Schlösser, Thürangeln, Fensterbeschläge, Nägel u.s.w. aus Kupfer» [GauV: 520].
    Alexander von Humboldt hat sich in Berlin ein ähnliches Häuschen bauen lassen, allerdings auf eigene Kosten. Er ist entzückt vom Engagement seines verehrten Freundes und hat bereits die Gauß’sche Abhandlung über die Absolutmessung der Magnetfeldintensität ins Französische übersetzt. Unter den neuen Idealbedingungen will Gauß künftig nicht nur die Intensität des Erdmagnetfeldes messen, sondern mit derselben Vollkommenheit selbstverständlich auch den Neigungswinkel des Magnetfeldes zur horizontal schwebenden Magnetnadel (Inklination) und die örtliche Abweichung der Nadel von der geographischen Nordrichtung (Deklination). Vor allem aber ist es ihm ein Anliegen, die Humboldt initiierten weltweiten Messungen unter seiner Regie fortzuführen und zentral in Göttingen auszuwerten. Seine absoluten Maßeinheiten und sein Magnetometer werden sich als neue Standards zur Messung des Erdmagnetismus international durchsetzen. Außerdem ist er seit Oktober 1832 gelegentlich mit elektromagnetischen Beobachtungen und Messungen beschäftigt, die er später auch hier, in seinem eisenfreien Observatorium, zur wahren Blüte bringen möchte. Der Magnetstab seines Magnetometers schwebt jetzt in einem Holzrahmen, um den ein paar Dutzend Meter Draht gewickelt sind. Mit diesem «Multiplikator» kann er die Stärke eines elektrischen Stroms aus einer Volta’schen Batterie messen. Nicht ohne den Stolz des Quereinsteigers, der im ersten Wettkampf den Weltmeister besiegt, berichtet er, dass diese ersten elektromagnetischen Versuche die Ergebnisse des Kollegen Gustav Theodor Fechner aus Leipzig, die Kompagnon Weber als die bisher «feinsten» Messungen betrachtete, weit

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