Gauß: Eine Biographie (German Edition)
eine Maschinerie anzugeben, wodurch eine Depesche fast so mechanisch abgespielt würde, wie ein Glockenspiel ein Musikstück abspielt, das einmal auf eine Walze gesetzt ist … Um eine solche Kette [Stromkreis] in Einem Schlage bis zu den Antipoden zu haben, wäre für 100 Millionen Taler Kupferdraht vollkommen ausreichend, für eine halb so große Distanz nur ¼ so viel, und so [weiter] im Verhältniss des Quadrats der Strecke» [ShuI: 412].
Mit dem Jahresbudget von 150 Talern für seine Sternwarte kann Gauß jeden Traum von einem Großversuch begraben. Undenkbar auch, dass Gauß einen Kredit aufnähme und sich verschuldete. Zu solch verwegenen Eigeninitiativen lässt er sich nicht hinreißen. Sein zweifellos starker Unternehmungsgeist entfaltet sich am eindrucksvollsten, wenn Universitätsbehörden, Herzöge oder Könige die Rechnungen bezahlen. Lieber «leiht» er sich von Humboldt eine Rolle Draht, statt sie aus eigener Tasche zu bezahlen. Wer weiß, was Gauß und Weber auf die Beine gestellt hätten, wenn der König von England noch einmal – wie bei der Hannover’schen Gradmessung – seine Privatschatulle geöffnet hätte.
Immerhin steht Wilhelm Weber in Kontakt mit der Leipzig-Dresdner Eisenbahngesellschaft, die die Bedeutung dieser wegweisenden Erfindung offenbar erkannt hat. So kann er den Herren anhand der Gauß’schen Berechnungen konkrete Zahlen anbieten. Ganz Deutschland soll bald von einem Schienennetz überzogen werden. Die erste Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth wird gerade gebaut. Auf die Telegraphie hätten Weber und Gauß bei ihren elektromagnetischen Untersuchungen «wohl den geringsten Wert gelegt» [GauXI,2: 120], vermutet Clemens Schaefer. Deren konkrete Bemühung jedoch, sich von einem Privatunternehmen einen Großversuch finanzieren zu lassen, spricht eine andere Sprache. Einstweilen bleibt es bei Privatvorführungen. Am 28. August 1835 lässt Gauß Weber diese Notiz zukommen: «Eine Dame, die gerne unsere Fernwirkungen bewundern möchte und schon diesen Mittag wieder fortreist, kommt diesen Vormittag nach Abrede zur Sternwarte. Finden Sie, theuerster Weber, es nicht zu unbescheiden, wenn ich Sie bitte, um 10 Uhr einen Galvanischen Strom durch unsere Kette zu lassen? … Ein paar Kommutatorwechsel in Zeitintervallen von 43″ würden die Bewunderung wohl noch erhöhen» [Tim: 178].
Die Klagen über den knappen Etat häufen sich. Gauß wird hier zum Opfer kleinstaatlichen Denkens und spartanischen Wirtschaftens. Eine auf den ersten Blick vermessen erscheinende Idee wie die elektromagnetische Telegraphie darf nicht über die Laborräume hinaus blühen. Einmal dringt sogar ein Gefühl durch, das er sich sonst nie erlaubt: ein Anflug von Neid auf finanziell besser ausgestattete Kollegen. Als der deutsche Physiker und Ingenieur Moritz Hermann von Jacobi sich um technische Anwendungen des Elektromagnetismus in Petersburg bemüht, wird er großzügig vom russischen Zaren unterstützt. Verbittert spricht Gauß von der «Mesquinität», der Dürftigkeit der Mittel, mit denen er in Göttingen auskommen muss. Mit einem Bruchteil der Summen, die Jacobi zur Verfügung stünden, könnte er bereits «gehöriges Licht» über die Telegraphie verbreiten, beschwert er sich bei Schumacher. Immerhin gelingt es Jacobi, den ersten Elektromotor zu bauen, der ein mit 14 Personen besetztes Boot auf der Newa antreibt und dabei vier Kilometer pro Stunde zurücklegt. Dennoch glaubt Jacobi selbst nicht so recht an die Zukunft des Elektromotors. Zu unergiebig scheinen ihm die 64 benutzten Platin-Zink-Elemente zu sein und zu umständlich das Procedere, um jemals alltagstauglich zu werden.
Inzwischen genehmigt sich Gauß in einer respektablen Selbstversuchsreihe ein paar exquisite Stromstöße aus seinem Induktionsschemel, den er draufgängerisch mit 3500 Drahtwindungen umwickelt hat. Erst lässt er den Strom durch seine angefeuchteten Hände gehen, ohne etwas Besonderes zu spüren. Durch Lippen und Zunge geleitet, macht er jedoch die prickelnde und «artige Entdeckung, dass man den Sinn (ob + oder –) eines galvanischen Induktionsimpulses ganz bestimmt mit den Lippen unterscheiden kann, so dass wir zum Spaß schon so telegraphiert haben, dass die Depesche aufgeschmeckt wurde» [Olb2: 629]. «Viele hunderthmal» hätten Weber und er den Strom in eine Lippe hinein- und aus der anderen Lippe herausströmen lassen. Nur der negative Strom lasse sich schmecken [GauXI,1: 104]. Da ist offenbar jemand von Kopf
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