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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Symmetrie stören oder zu einer unliebsamen Einschränkung der attraktiven These führen. Also rechnen sie weiter, perfektionieren ihre Verfahren und schweigen. Bei Carl kommt noch die Naivität hinzu, mit der er vermutet, jeder halbwegs wache Mathematiker müsse doch längst die offensichtliche Lösung selbst erkannt haben und in seiner täglichen Praxis anwenden.

    Im Sommer 1795 bestellt Herzog Carl Wilhelm Ferdinand seinen Günstling ins Schloss, weil ihm zu Ohren gekommen ist, der vielversprechendste intellektuelle Hoffnungsträger des Herzogtums Braunschweig wünsche, an der Universität Göttingen zu studieren. Göttingen aber liegt im südlichsten Zipfel des Kurfürstentums Hannover und gehört deshalb zum «Ausland». Normalerweise wird eine solche Eigensinnigkeit eines herzoglichen Stipendiaten am Hof schon fast als ein Affront empfunden, weil bekannt ist, dass der Fürst seine finanziell geförderten Landeskinder auch an der einzigen herzoglich-braunschweigischen Universität in Helmstedt studieren sehen möchte.
    Carl Wilhelm Ferdinand hat inzwischen eine bittere militärische Niederlage erlitten, die Weltgeschichte geschrieben hat, doch sein existenzielles persönliches Waterloo steht ihm erst noch bevor. Hatte er sich bei der ersten Begegnung mit seinem Lieblingswunderkind im Juni 1791 noch auf dem Höhepunkt seiner Strahlkraft befunden, so ist er bereits ein gutes Jahr später auf dem Tiefpunkt seiner Karriere angelangt. Die Revolutionäre in Paris hatten ihn zum Oberbefehlshaber der französischen Truppen erkoren, und der Herzog schwankte gefährlich auf dem schmalen Grat zwischen seiner Sympathie für die Revolution und seiner Verpflichtung als General gegenüber dem preußischen Heer. Die Entscheidung ist denkbar eng. Am 12. Februar 1792 trifft der französische Gesandte Custine zu einer zweiten Verhandlungsrunde in Braunschweig ein in der Hoffnung, den Welfenherzog doch noch für die französische Sache zu gewinnen. Am Tag darauf erhält Carl Wilhelm Ferdinand bereits «den Befehl, sich sofort nach Potsdam zu begeben, um den Plan eines Feldzugs gegen Frankreich zu entwerfen» [Ste: 191]. Denn nach unüberhörbarem Säbelrasseln zwischen Österreich und Frankreich hat sich inzwischen Ferdinands Potsdamer Cousin Friedrich Wilhelm II. mit Wien verbündet. Und als im Frühjahr 1792 Preußen und Österreich gemeinsam gegen Frankreich in den Krieg ziehen, um dort die Monarchie wiederherzustellen, steht Ferdinand an der Spitze der Koalitionstruppen – eine Kehrtwendung, die auch der abgebrühteste Machtmensch nicht ohne seelische Blessuren übersteht.
    Im Juli 1792 begeht der Herzog von Braunschweig einen fatalen politischen Fehler. Als Oberbefehlshaber der Invasionstruppen unterschreibt er eine Erklärung, «in der die Verbündeten der Stadt Paris in schroffer und verletzender Sprache den Untergang androhten, wenn sie nicht dem Gebote der alliierten Herrscher gehorche …» Deren wichtigste Forderung die Rückkehr Ludwigs XVI. auf den Thron ist. Dieses Dokument, das Ludwig selbst mitverfasst haben soll, erreicht genau das Gegenteil der gewünschten Wirkung: Es mobilisiert den Widerstand der jungen Republik auf ungeahnte Weise. Durch seine Unterschrift bleibt Herzog Carl Wilhelm Ferdinands persönliches Schicksal bis zu seinem Tod mit der Politik der französischen Nation verknüpft. «Der früher angebetete, zum Reorganisator der Armee bestimmte deutsche Fürst, dessen Ruhm man in lauten Worten gefeiert hatte, wurde jetzt der Gegenstand des grimmigsten Hasses und der höhnischen Verfolgung» [Ste: 198].
    Nach anfänglichen Erfolgen versinkt das Invasionsheer bei wochenlangem Dauerregen im Morast der Champagne-Landschaft. Die Ruhr schwächt und dezimiert das Heer. Herzog Ferdinands Entscheidungen sind den Falken viel zu zögerlich, seine angeblich ohne Not befohlenen Rückzüge aus militärischer Sicht unverständlich, ja ein Skandalon. Sein früherer Wagemut ist einer quälenden Unentschlossenheit gewichen. Eroberte Städte wie Verdun werden aufgegeben, die Koalitionstruppen lassen sich über die französische Grenze zurückdrängen. Zweimal bittet der einst gefeierte Feldherr den preußischen König um seine Entlassung. Nach zwei Jahren an der Spitze eines absurden Feldzugs, den er von Anfang an nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus Gehorsam gegenüber Friedrich Wilhelm II. angeführt hat, gewährt ihm der König im Januar 1794 endlich den Rücktritt. Ein gutes Jahr später ist die

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