Gauß: Eine Biographie (German Edition)
preußisch-österreichische Koalition auch unter neuer Führung mit ihrem Ziel der Wiedereinführung der Monarchie in Frankreich endgültig gescheitert. Die Französische Revolution hat sich gegen den Widerstand zweier mächtiger Nachbarn behauptet.
Gauß hat sich später immer wieder dankbar über die herzogliche Unterstützung geäußert, ohne die er wohl tatsächlich nichts weiter als ein geschätzter Buchhalter in einem heute zu Recht vergessenen Kaufmannskontor geworden wäre. Dennoch muss ihm der Herzog als Mensch weithin fremd geblieben sein. Er ist der unerreichbare Landesvater, der selbst zu all seinen förderungswürdigen «Lieblingskindern», zu denen Gauß zweifellos gehört, nicht viel mehr als eine schwer fassbare, abstrakte Beziehung entwickeln kann. Es gibt freundliche Audienzen und Plaudereien über schulische Leistungen, studentische Fortschritte und berufliche Wunschvorstellungen – Gespräche, die keinerlei Prüfungscharakter haben, sondern nur als Anlass dienen, ein paar Tage später eine knappe Anweisung an die herzogliche Kasse ergehen zu lassen, dem Untertanen Gauß die finanzielle Zuwendung um soundso viel Taler zu erhöhen.
Wird Carl irgendeinen Menschen wirklich vermissen, wenn er jetzt nach Göttingen geht? Die Mutter und ihre bedingungslose Liebe wird ihm fehlen. Die ungnädige Ausstrahlung des Vaters und dessen derben Umgangston wird er zweifellos entbehren können. Drei Freunde vom Collegium Carolinum wollen ihm bald ins Leinetal folgen. Eine Jugendliebe, für die die nahe Universität Helmstedt und ein Verzicht auf Göttingen eine Überlegung wert gewesen wäre, scheint er in der Heimatstadt noch nicht gefunden zu haben. Es wird ihm bewusst sein, dass sein außerordentliches Talent ständig Nahrung und Anreiz verlangt. Das ist mit schroffen Rückzugsphasen und einem Arbeitsaufwand verbunden, den die Menschen in seinem Umfeld vielleicht nicht immer nachvollziehen und verstehen mögen. Von einem inhaltlichen Verständnis ganz zu schweigen. Wie einsam muss sich einer fühlen, der seine spannendsten Entdeckungen noch nicht einmal seinem Mathematikprofessor anvertraut? Trotzdem deutet nichts darauf hin, dass Carl Friedrich Gauß als menschenscheuer, weltfremder Grübler das Collegium Carolinum verlassen wird. Er ist sich seines besonderen Ranges sehr wohl bewusst und wird seine ganze Energie darauf verwenden, sein Wissen zu vermehren, selbst wenn er dabei riskiert, ungesellig und herablassend zu erscheinen. Er hat das umfassende Bildungsangebot am Carolinum aufs glücklichste genutzt. Seine Vorliebe für Sprachen – alte wie neue gleichermaßen – hat Professor Johann Joachim Eschenburg zu vertiefen verstanden. Aber die schwärmerische Verehrung, die der jugendliche Carl diesem Lehrer entgegenbringt, lässt keine realistische zwischenmenschliche Beziehung gedeihen. Eschenburg wird für immer eine verklärte Person bleiben.
Der Herzog von Braunschweig wird bis zum Sommer 1795 regelmäßig von Carls Professoren über die Entwicklung des Eleven informiert worden sein. Er ist grundsätzlich bereit, Carls Studium zu finanzieren, will aber von ihm persönlich die Gründe erfahren, warum er ihn nicht nach Helmstedt abkommandieren, sondern ins entlegene Göttingen ziehen lassen soll. Carls Antwort ist naheliegend. Nicht etwa schnöde Abenteuerlust treibe ihn dazu, fern der Heimat die Herausforderungen und Vergnügungen des freien Studiums zu genießen. Vielmehr sei es die international berühmte, einzigartige Universitätsbibliothek Göttingens mit ihren 160 000 Bänden, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn ausübe. Dort hoffe er auch endlich, die modernen Meister der Mathematik studieren zu können, deren neueste Werke er, kaum dass die Druckerschwärze getrocknet sei, bereits in der Bibliothek ausleihen könne – ein Vorteil, der ihm in Braunschweig bisher versagt geblieben sei. Außerdem liege es ihm am Herzen, regelmäßig Zugang zu den Zeitschriften mit den neuesten Nachrichten der großen europäischen Akademien zu bekommen, um seine eigenen, wenngleich noch ganz und gar bescheidenen Forschungen einem internationalen Vergleich unterziehen zu können.
Der Herzog braucht keine Bedenkzeit. Die Anweisung an seinen Kämmerer fällt ungewöhnlich großzügig aus. 158 Taler jährlich für die Dauer von drei Jahren und einen Freitisch im Wert von 48 Talern. Und möge er im Kurfürstentum Hannover sein Vaterland Braunschweig nicht vergessen.
4. Student in Göttingen
Am 11.
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