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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Carl Friedrich Gauß baut an diesem frühen Morgen eine neue Brücke zwischen zwei zuvor getrennten Welten. Das ist die eigentliche Sensation und wohl auch der Anlass für den Übermut des jungen Gauß, sich ein neues Oktavheft zu gönnen.
    Er wird noch immer beschwingt von seiner gestrigen Entdeckung sein, aber die Begeisterung setzt sich nicht etwa in schwungvolle Buchstaben oder in dynamische Schnörkel um. Dieser erste Eintrag ins Notizheft besteht aus drei Zeilen in gestochen sauberer Handschrift. Fast wie gedruckt. Auch inhaltlich bleibt er nüchtern und sachlich in knappem akademischen Latein:

«Principia quibus innitur sectio circuli, ac divisibilitas eiusdem geometrica in septendecim partes etc. Mart. 30. Brunsv.» – Die Grundsätze, auf die sich die Teilung des Kreises stützt, und seine geometrische Zerlegung in 17 Teile usw. Braunschw., 30. März.

    Eine Nachricht vom Zeichenwert einer halben SMS. Keine Erläuterung, sondern nur diese schlichte Notiz von der Entdeckung eines Schatzes, der ihm bis ans Ende seines Lebens Freude bereiten wird. Kein Beweis. Den hat er doch im Kopf. Wie könnte er diesen Augenblick der Einsicht jemals vergessen? Was für ein Tag. Aber auch kein Grund, unnötig kostbares Papier zu verschwenden.
    Wie aber ist es ihm gelungen, ein Feld wieder urbar zu machen, das zweitausend Jahre brachgelegen hat? Erinnern wir uns an René Descartes’ Buch Geometria , in dem er Geometrie und Algebra zur analytischen Geometrie vereinigt hat. Mit Hilfe der x- und y-Achse des Koordinatensystems lassen sich seither jedem Punkt eines geometrischen Objekts zwei Zahlen zuweisen. Jetzt erweitert Gauß euklidische Konstruktion und Descartes’sches Denken um seine eigenen zahlentheoretischen Überlegungen. * So gelingt es ihm, die Zahlenwerte der entscheidenden Positionen seines Siebzehnecks zu berechnen. Um regelmäßige Vielecke mit Zirkel und Lineal zeichnen zu können, werden sie in einen Kreis hinein konstruiert. Für sein regelmäßiges Siebzehneck muss Gauß 17 Punkte so auf dem Kreisbogen verteilen, dass alle den gleichen Abstand voneinander haben. Er gelangt zu der Einsicht, dass er zur Berechnung des entscheidenden Zahlenwertes für sein Siebzehneck * nur die vier Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division anwenden sowie ein paar Quadratwurzeln ziehen muss. Diese Rechenverfahren aber lassen sich, sofern es sich um ganze Zahlen handelt, grundsätzlich auch mit Zirkel, Lineal und Bleistift durchführen. Es sind dann zumeist einfache Schrittfolgen wie Halbkreise schlagen, Punkte verbinden, Parallelen ziehen oder Strecken mit dem Zirkel abgreifen und anderswo übertragen. So mutieren die klassischen geometrischen Konstruktionshilfsmittel Zirkel und Lineal zu einem Metainstrument, das man wie einen «Analogrechner» [Vol: 97] nutzen kann.
    Gauß findet also einen zahlentheoretischen Beweis für die geometrische Konstruierbarkeit eines regelmäßigen Siebzehnecks mit Zirkel und Lineal. Aber es ist nicht nur dieses eine geometrische Objekt, das seit dem 29. März 1796 zu Euklids Familie der konstruierbaren regelmäßigen Vielecke gehört. Gauß hat eine Formel gefunden, * aus der sich noch weitere regelmäßige Vielecke ergeben.
    Diese Erkenntnisse sind, so innovativ sie 1796 auch erscheinen mögen, lediglich erste Ergebnisse einer viel umfassenderen Erweiterung der Zahlentheorie, an der Carl Friedrich Gauß jetzt mit Nachdruck arbeitet. Dieses erstaunliche Faktum kommt auch in der ersten kurzen Ankündigung zum Ausdruck, die im Intelligenzblatt der allgemeinen Literaturzeitung vom Juni 1796 unter der Rubrik «Neue Entdeckungen» steht und der erste Schritt des Zweitsemesterstudenten in die Öffentlichkeit ist. Professor Zimmermann hat diese Notiz veranlasst. Er wird wohl der Erste gewesen sein, dem Gauß seinen Beweis gezeigt hat, zumal er sich an diesem historischen 29. März in Braunschweig aufgehalten hat.
    «Es ist jedem Anfänger der Geometrie bekannt, daß verschiedene ordentliche Vielecke … sich geometrisch konstruieren lassen. So weit war man schon zu Euklids Zeit, und es scheint, als habe man sich seitdem überredet, daß das Gebiet der Elementargeometrie sich nicht weiter erstrecke: wenigstens kenne ich keinen geglückten Versuch, ihre Grenzen auf dieser Seite zu erweitern.
    Desto mehr dünkt mich, verdient die Entdeckung Aufmerksamkeit, daß außer jenen ordentlichen Vielecken noch eine Menge anderer, z. B. das Siebzehneck, einer geometrischen Construktion

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