Gauß: Eine Biographie (German Edition)
«Pflegesohn» hat sich ausgezahlt. In den nächsten vier Jahren werden die Russen immer wieder versuchen, Gauß als Direktor der kaiserlichen Sternwarte an die Newa zu locken. Doch der Herzog von Braunschweig wird nie um einen Gegenzug verlegen sein, Gauß in seiner Heimatstadt zu halten. Inzwischen sieht er sogar seinen eigenen Namen im Zusammenhang mit Gauß gerühmt. Kein Geringerer als der große französische Mathematiker Laplace schreibt nach der Wiederauffindung von Ceres: «Der Herzog von Braunschweig hat in seinem Lande mehr entdeckt, als einen Planeten: einen überirdischen Geist in menschlichem Körper» [Hän: 52].
Während die Astronomen also glücklich ihren neuen Planeten mit dem Gauß’schen Zahlennetz wieder eingefangen haben und ihn neugierig weiter beobachten, geraten Physiker und Chemiker in helle Aufregung über seltsame Phänomene, die bei der Berührung zweier unterschiedlicher Metalle wie Zink und Kupfer in einem Behälter mit verdünnter Säure auftreten. Erstaunlich genug ist es ja, dass bei dieser Konstellation chemische Energie in elektrische Energie umgewandelt wird. Offenbar aber lässt sich in diesem «galvanischen Trogapparat» – im Gegensatz zu den Lichtenberg’schen Experimenten mit Katzenfell und Kiefernharz – die elektrische Energie auch speichern und daher jederzeit abrufen. Aber was, um Himmels willen, soll man bloß damit anfangen? Der englische Chemiker Humphry Davy, Professor an der Royal Institution in London, berichtet 1802 im 4. Jahrgang der Annalen der Physik – jener legendären Zeitschrift, in der 103 Jahre später Albert Einstein seine bahnbrechenden Artikel veröffentlichen wird –, dass sich damit unglaubliche Kunststücke vollbringen lassen. Er habe einen Stapel Zink- und Kupferplatten in verschiedene Flüssigkeiten getaucht und die besten Resultate mit Salmiakauflösung und Salpetersäure erzielt. Wenn er den Plus- und den Minuspol mit einem dünnen Eisendraht verbindet, wird der Draht so heiß, dass Wasser in seiner unmittelbaren Nähe zu kochen beginnt. Mit unterschiedlich konzentrierten Säuren bringt er Kohle zur Weißglut, Drähte zum Schmelzen, Alkohol und Öl zum Kochen. Der elektrische Funke trennt auch Flüssigkeiten laut und eindrucksvoll in ihre gasförmigen Bestandteile auf: «Das Gas aus Salpetersäure wurde durch den elektrischen Funken mit großer Heftigkeit detoniert, und der Rückstand war Sauerstoffgas mit etwas Stickgas vermischt» [Dav: 357].
Diesen Elektrizitätsspeicher hat Alessandro Volta aus dem italienischen Como gebaut. Er wird «Volta’sche Säule» genannt. Das ist ein in die Höhe gestapeltes Arrangement aus bis zu mehreren Dutzend Paaren miteinander verbundener Zink- und Kupferplatten. Zwischen jeder Doppelplatte steckt ein Lederlappen. Er ist mit einer Flüssigkeit getränkt, die die Elektrizität gut leitet, wie etwa Davys praxiserprobte Säuren. Manche Kommentatoren haben für dieses akademische Spielzeug den militärischen Begriff «Batterie» zur Hand. Selbstverständlich wird niemand so etwas wirklich jemals brauchen. Darüber sind sich die professionellen Skeptiker in den wissenschaftlichen Vereinigungen völlig im Klaren. Sie fragen sich, was Davy mit seinen Kunststückchen eigentlich bezwecken will. Sollen die Hausfrauen und Dienstmädchen der Professoren in Zukunft etwa mit Zink, Kupfer und stinkender Brühe das Teewasser elektrisch erhitzen? Ein schlechter Scherz. Wer braucht zu Hause schon gezähmte Blitze und elektrischen Funkenflug? Professor C. H. Pfaff in Kiel, selbst eifriger Experimentalphysiker, gibt sich in seinem anerkennenden Kommentar zur Volta’schen Säule nur im Hinblick auf die Grundgesetze der Elektrizität pessimistisch. Warum bei der wechselseitigen Berührung zweier Metalle überhaupt ein Strom fließt, werde wohl für alle Zeiten ein großes Geheimnis bleiben: «Werden wir die Kette je bis zum letzten Gliede, mit welchem sie an Jupiters Throne festhängt, verfolgen können?» [Pfa: 219]. Doch die Idee lässt sich nicht mehr aufhalten. Nahezu die Hälfte aller Artikel in den drei Bänden der Annalen von 1802 handelt von Versuchen mit Voltas umwerfender Erfindung.
Am 28. März 1802 entdeckt Wilhelm Olbers einen weiteren Planeten zwischen Mars und Jupiter, den er nach Pallas Athene benennt, der griechischen Allzweckgöttin, die für mehr als ein Dutzend Lebensbereiche zuständig ist. Sie ist die Schutzpatronin Athens und regelt alle Geschäfte, die aus Kunst, Wissenschaft und Krieg
Weitere Kostenlose Bücher