Gauß: Eine Biographie (German Edition)
hervorgehen, eine vielbeschäftigte Dame, die nebenbei noch für eine Handvoll Handwerkszünfte und vor allem für die Weisheit verantwortlich ist. Die Überraschung im Lager der Astronomen über die Existenz von Pallas könnte größer kaum sein. Als alleiniger «Wandelstern» zwischen Mars und Jupiter passte der Planet Ceres wunderbar in das Kepler’sche Konzept einer harmonischen Planetenreihe. Nun aber ist Konkurrenz aufgetaucht, wodurch die elegant klingende Theorie schon wieder ins Wanken gerät. An einer Stelle berührt die stark geneigte und erheblich von der Kreisform abweichende Pallasbahn fast den Pfad von Ceres. Was Olbers auf den Gedanken bringt, Ceres und Pallas könnten Bruchstücke eines einzigen Planeten sein, der durch den Aufprall eines Kometen zerrissen worden sein könnte. In einem Brief an Olbers zeigt der sonst so innovationsfreudige Gauß plötzlich Skrupel gegenüber solchen revolutionären Gedanken. Gauß schreckt zurück vor allzu viel «blindem und zufälligem Spiel der Naturkräfte … Es scheint mir eine fast frevelhafte Vermessenheit, das, was wir … in unserem Raupenzustande … an Vollkommenheit oder Unvollkommenheit wahrnehmen … zum Maßstab der ewigen Weisheit machen zu wollen» [Olb1: 42]. Maßstab ewiger Weisheit bleibt für ihn offenbar das unerschütterliche, unwandelbare Universum Isaac Newtons.
Die Beiträge in der Monatlichen Correspondenz zeigen das bereits vertraute Muster: Zach hält die Fäden in der Hand. Bei ihm laufen alle Nachrichten zusammen. Er hat stets den entscheidenden Informationsvorsprung und dominiert die Debatte. Der neue Star Gauß, der den neuen Stern Ceres wiederfinden half, ist jetzt schon mindestens so berühmt wie er selbst. Offenbar aber findet Zach Gefallen daran, in Gauß den Astronomen ohne Fernrohr zu sehen. So macht er sich dessen Rechenleidenschaft zunutze. Jetzt kalkuliert Gauß parallel zur siebten und achten Verbesserung der Ceresbahn eben auch noch die Eigenschaften der Pallasbahn für Zachs Zeitschrift. Was kann schöner sein? Zum Beispiel parallel zu den Berechnungen ein paar praktische Fingerübungen mit astronomischen Instrumenten zu machen. Als Gauß auf seine bescheidene Art anfragt, ob Zach ihm einen ausgemusterten Sextanten leihen könne, gibt der Direktor der reichausgestatteten Gothaer Sternwarte dem weltberühmten Novizen unverblümt zu verstehen, er werde mit der von ihm beschriebenen Kurzsichtigkeit in der beobachtenden Astronomie nicht viel erreichen können. «Herschel und Schröter [der Direktor der Sternwarte in Lilienthal] haben Falkenaugen. Sie sind ein vortrefflicher Analyste, Sie haben ein so überwiegendes Talent de Calcul , dass Sie mit diesem allein wuchern müssen. Sie werden bei praktischer Astronomie eine kostbare Zeit verlieren, die Sie tausendmal besser und nützlicher anwenden können» [Bre: 12]. Hat der alte Platzhirsch etwa Angst vor dem jungen Überflieger?
Oberflächlich betrachtet, herrscht im Frühjahr 1802 eitel Sonnenschein in der Astronomenszene. Das freudig erregte Summen über Ceres und Pallas hält an. Gauß wird aus ganz Europa mit Ruhm und Ehre überhäuft. Der bedankt sich artig in Zachs Monatlicher Correspondenz , dass es dieses herrliche Periodikum gibt. Der wiederum zieht öffentlich den Hut vor dem jungen Genie. Das war nicht immer so. Die beiden kennen sich seit 1799, als Zach den Wunsch des unbekannten Doktoranden kühl ablehnte, ihn in der Seeberg-Sternwarte in Gotha besuchen zu dürfen. Er könne keine Hospitanten mehr aufnehmen, schrieb er damals Gauß, man habe ihn betrogen, hintergangen, seine Gutmütigkeit und Gastfreiheit schamlos ausgenutzt, jammerte der Baron. «Meine Denkungsart erlaubt mir nicht, Kostgänger bei mir aufzunehmen, ich kann unmöglich einen Gasthof aus meinem Hause machen» [Bre: 10]. Außerdem kränkele er zurzeit. Die Besucher hätten ihm die Instrumente zerkratzt, neulich erst eines unersetzlich beschädigt, und Seine Durchlaucht, Herzog Ernst II. von Gotha, erlaubten es schon gar nicht, dass astronomische Anfänger die kostbaren Geräte berührten, die Serenissimus doch ganz allein aus seiner Privatschatulle …
Zach ist als Förderer junger Talente bekannt und versucht dieser Tage, den Astronomen Johann Karl Burckhardt auf den Direktorenposten der Göttinger Sternwarte zu hieven. Olbers hat dasselbe vor, allerdings mit Gauß. Der eine ältere Freund ahnt, was der andere vorhat, aber ausgesprochen wird nichts. Das wahre Motiv hinter Zachs vorgeblich
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