Gauß: Eine Biographie (German Edition)
schweigend, in seiner Zeitschrift ab. Herschels Asteroiden jedenfalls sind damit ein für alle Mal erledigt.
Wie Ceres verschwindet auch Pallas aus dem Blickfeld der Teleskope, und wieder rechnet Gauß mit Hingabe und nie zuvor erreichter Genauigkeit ihre wahrscheinliche Bahn aus. Im Februar 1803 findet Carl Ludwig Harding an der Sternwarte Lilienthal sie als Erster genau dort, wo sie nach den Angaben von Gauß wieder auftauchen sollte. Keine andere Planetenbahn hat eine derart starke Neigung wie Pallas, was auf besonders nachhaltige Bahnstörungen durch die gewaltige Masse des Jupiters schließen lässt. In Gauß reift allmählich die Vorstellung, nach ein paar genau beobachteten Umlaufbahnen die Jupitermasse bestimmen zu können.
Obwohl Zach weiterhin versucht, Gauß als rechnenden Astronomen festzunageln, schickt er ihm im März 1802 einige Instrumente für die ersehnten praktischen Messübungen: einen Sextanten des renommierten Herstellers Throughton mit einigem Zubehör und eine Pendeluhr. Nun darf Gauß sich also endlich als beobachtender Astronom fühlen. Durch das Fernrohr seines Sextanten sieht er einen größtmöglichen Kreis am Himmel, der in Grade, Minuten und Sekunden eingeteilt ist, und kann nun aus verschiedenen Blickrichtungen Entfernungen und Größen am Himmel messen. Durch ein einfaches Spiegelsystem lassen sich etwa die Winkel zwischen zwei Sternen bestimmen oder der Höhenstand der Sonne messen. Die Uhr, die Zach mitgeschickt hat, stammt aus der berühmten Auch’schen Feinmechanikerwerkstatt. Mit ihr hält Gauß den Zeitpunkt jeder Beobachtung fest. Seinem neuen Brieffreund Olbers meldet er «sehr fleißige Sonnenbeobachtungen» und hat den Eindruck, dass Zachs Bedenken, seine Kurzsichtigkeit könnte ihm bei der beobachtenden Astronomie zum Verhängnis werden, unbegründet zu sein scheinen. Es macht ihm großen Spaß, und er hat genügend Selbstvertrauen, «dass ich durch Autopsie mich auch in die Behandlung anderer Instrumente wohl finden werde» [Bre: 16]. Der Sextant lässt sich aber nicht nur zur Erforschung der Himmelsgeometrie benutzen, sondern auch für irdische Ortsbestimmungen. Und so übt Gauß sich schon bald auch in ersten Vermessungen der Braunschweiger Fluren und Felder.
Im September erreicht ihn ein Brief aus Petersburg mit dem Angebot, als Astronom der Akademie der Wissenschaften und Direktor der Sternwarte in die russische Hauptstadt zu kommen. Es ist zweifellos eine große Ehre für den Fünfundzwanzigjährigen, der gerade die ersten zaghaften Schritte in der praktischen Astronomie wagt. Aber eigentlich möchte er seinen Lebensunterhalt lieber in Deutschland verdienen. So vertraut er sich Wilhelm Olbers an, der sich in den kommenden vier Jahrzehnten als einer seiner engsten Freunde erweisen wird. Olbers wendet sich mit dem Einverständnis des Berufenen an seine Freunde Heeren und Heyne in Göttingen und schlägt Alarm, dass ein so ausgezeichneter Gelehrter wie Gauß vor dem ernsthaften Entschluss stehe, Deutschland zu verlassen. Ob sich denn die Entscheidungsträger in Göttingen vorstellen könnten, die Leitung der im Bau befindlichen neuen Sternwarte Gauß anzuvertrauen. Die Aussichten auf den Posten in Göttingen seien, langfristig betrachtet, hervorragend, doch für den Augenblick wolle man ihm keine verbindliche Zusage geben. Zach leitet den Bau der Sternwarte, und kein Direktorium in Deutschland könnte eine Empfehlung Zachs für den Direktorenposten einfach ignorieren. Hat er seinen Schützling Burckhardt noch in der Hinterhand? Wer weiß, welche Fäden bereits gezogen sind. Doch Gauß fühlt sich vor allem natürlich seinem Herzog verpflichtet, dessen Großzügigkeit er seine «künstlerische Freiheit» als Selfmade-Astronom verdankt.
Am 25. Januar 1803 geht eine Nachricht aus dem Schloss am Bohlweg in Braunschweig an das fürstliche Finanzkollegium: «Da dem Dr. Gauß hieselbst, welcher einen Ruf nach Petersburg ausgeschlagen hat, eine Zulage von 200 Rthlr. nebst einem Holzdeputate von 4 Klafter Buchen- und 8 Klafter Tannenholz und statt des freien Logis, bis er solches in natura erhalten kann, eine Vergütung von 50 Rthlr. jährlich bewilliget worden, so ist zu verfügen, daß besagte Zulage ohne Abzug des ersten Quartals von Weihnachten v. J. an in Quartalsratis nebst der Logisvergütung zu 50 Rthlr. aus derjenigen Kasse, aus welcher er seinen jetzigen Gehalt erhebt, gezahlet werde» [Hän: 59 f.]. Seitdem, so hat Stadtarchivar Hänselmann herausgefunden, wird
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