Gauß: Eine Biographie (German Edition)
im Dezemberheft der Monatlichen Correspondenz die «Gauss’sche Ellipse» ausdrücklich als Kontrapunkt zu den Kreis-Hypothesen der meisten anderen Kollegen. Er empfiehlt sie als den «vorzüglichsten Leitfaden», der Piazzis Beobachtungsdaten am genauesten darstelle. Den praktischen Astronomen rät er, «… dass sie nothwendig den Raum am Himmel, worin sie dieses neue und so schwer zu findende Gestirn aufzusuchen haben, um 6 bis 7 Grade weiter nach Osten ausdehnen müssen» [GauVI: 199]. Während die Kollegen also noch ihre druckfrischen Exemplare studieren und sich über den besonders herausgestellten Beitrag des ihnen unbekannten Seiteneinsteigers Dr. Gauß wundern – gibt es denn in Braunschweig überhaupt eine Sternwarte? –, nutzt Zach seinen Informationsvorsprung und wird bereits am 7. Dezember fündig. An diesem Tag hat er Ceres genau dort gesehen, wo der Planet nach der Gauß’schen Tabelle auftauchen sollte. In der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar kann er seine Beobachtung verifizieren. Und am Neujahrstag 1802 entdeckt auch Wilhelm Olbers den neuen Planeten anhand der von Gauß vorausberechneten Koordinaten.
In den kommenden Wochen bestätigen alle bedeutenden europäischen Astronomen die Genauigkeit der Gauß’schen Berechnungen. Zach schreibt in der März-Ausgabe der Monatlichen Correspondenz : «Als ich dem Dr. Gauß die Nachricht von der glücklichen Auffindung der so sehnlichst erwarteten Ceres, und meine drei ersten Beobachtungen derselben mitgeteilt hatte, so war das erste, was er nach Empfang derselben tat, dass er sie sogleich … [verbesserte]» [GauXI,2: 176]. Eine typische Reaktion von Gauß, denn seine neue Fehlerreduzierungsmethode liefert mit zunehmenden Daten immer genauere Ergebnisse. Mit einer fünften, sechsten und siebenten Ableitung lassen sich die Koordinaten wunderbar verfeinern. Das scheint den Kollegen nicht ohne weiteres klar zu sein. Manche wollen sein Rechnen mit einer übertrieben scheinenden Anzahl von Dezimalstellen nicht nachvollziehen. Genügen denn die schönen Resultate nicht? Ceres ist wieder da und wird von nun an nicht mehr aus den Augen gelassen.
Um seine Methode zu verbessern, verändert er die angenommene Neigung der Ceresbahn ein wenig, wodurch ihre Abstände zur Erde andere Werte bekommen, führt für dieses neue Arrangement alle Berechnungen noch einmal durch, vergleicht die dabei entstandenen Fehler mit allen anderen Abweichungen und kann dann – in seinen eigenen Worten – «die Abstände viel genauer ableiten und daraus der Wahrheit viel nähere Elemente finden» [GauXI,1: 228]. Es ist also ein langsames Heranschleichen an die Wahrheit, was er da praktiziert, nämlich «… die gefundene Bahn so zu verbessern, dass die Quadratsumme der Differenzen zwischen der Rechnung und dem ganzen Vorrat von Beobachtungen so gering als möglich wird …» [Gal: 9]. Das ist, vereinfacht formuliert, der Kern seiner neuen Methode.
Die Kollegen warten mittlerweile ungeduldig auf die Beschreibung seines so durchschlagend erfolgreichen Rechenverfahrens. Bis Juni liefert Gauß in jeder Ausgabe der Monatlichen Correspondenz immer präzisere Daten. Seine Methode aber gibt er nicht preis. Denn sie will er als ein makelloses Kunstwerk präsentieren. Und das braucht Zeit. Es werden noch sieben Jahre vergehen, bis die Welt in allen Einzelheiten von seiner einflussreichen Idee erfährt. Bis dahin schweigt er und setzt sich dabei der Gefahr aus, dass andere auf denselben Gedanken kommen könnten und so vor ihm den Ruhm ernten. Das nimmt Gauß in Kauf. Er kann nichts Halbfertiges abliefern. Es «sei sein Prinzip, einzelne Lehrsätze nicht ins Publikum zu werfen, ehe er eine anständige Gelegenheit habe, sie gehörig zu entwickeln.» [Gal: 9]. Alles muss perfekt sein wie seine Arithmetischen Untersuchungen .
Vor einem halben Jahr hat er sich mit ihrem Erscheinen unter die größten lebenden Mathematiker eingereiht. Im Frühjahr 1802 ist er nun in der neuen Kategorie «Astronom ohne Fernrohr» in der Astronomengemeinde berühmt geworden. Herzog Carl Wilhelm Ferdinand belohnt die ungewöhnliche Ceres-Berechnung mit einer «Gehaltserhöhung» für sein ruhmreiches Landeskind: 400 Taler jährlich ohne eine Gegenleistung. Die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg reagiert als erster der wichtigen europäischen Intelligenzzirkel und ernennt Gauß am 31. Januar 1802 zu ihrem korrespondierenden Mitglied. Zimmermanns beharrliches Antichambrieren für seinen
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