GB84: Roman (German Edition)
oder?« fragt sie. »Sie könnten jederzeit auftauchen.«
Der Mechaniker steigt aus, schließt die Tür und geht die Straße entlang. Er kommt zum Haus
–
Die Vorhänge sind zugezogen. Es brennt Licht
–
Verdammt.
Er geht die Einfahrt entlang zur Rückseite des Hauses. Die Tür steht sperrangelweit offen
–
Verdammt.
Er beugt sich hinein und ruft: »Hallo? Jemand zu Hause?«
Keine Antwort.
Er betritt das Haus. Auf dem Küchenboden liegt Schmutzwäsche herum, auf dem Tisch sind zwei Handtaschen ausgeleert worden, das Telefon ist von der Wand gerissen
.
Er geht ins Wohnzimmer, dann ins Arbeitszimmer
–
Niemand.
Er geht nach oben. Einer der Handläufe am Treppengeländer fehlt
.
Er geht ins vordere Schlafzimmer
–
Niemand.
Ins Bad
–
Niemand.
Ins hintere Schlafzimmer
–
Verdammt.
Nasse Handtücher auf dem Boden. Das Bett ist abgezogen
–
Blut- und Samenspuren auf der Matratze
.
Der Jude hat seit Tagen nicht geschlafen, dazu ist er zu aufgeregt, zu beschäftigt –
Gerade ist er in den zwölften Stock von New Scotland Yard gefahren, die Nationale Einsatzstelle der Polizei.
Neil Fontaine öffnet dem Juden die hintere Wagentür. Der Jude steigt ein.
»Downing Street, wenn Sie so freundlich wären, Neil.«
»Gewiss, Sir.«
Der Jude erzählt Neil von den 24-Stunden-Einsätzen der Polizei, von den Telefon-Reihen, den Wänden voller Landkarten, den bunten Stecknadeln –
»Die heben sie in Keksdosen auf«, sagt er lachend. »Können Sie sich das vorstellen? In Keksdosen.«
Neil Fontaine hält an einer roten Ampel. Er schaut auf die Uhr, dann in den Rückspiegel –
Der Jude trägt einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein blassblaues Hemd und eine weiße Seidenkrawatte. Er hat einen weiteren Bericht zu geben, eine weitere Rede zu halten –
»Es wird keine Abstimmung geben. So viel steht fest«, sagt der Jude laut auf dem Rücksitz. »Die Strategie des Komitees muss auf dieser Tatsache fußen. Das Arbeitsrecht ist nebensächlich. Abstimmungen sind kein Ausweg, Gerichte auch nicht. Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass es zu einer landesweiten Abstimmung kommt, und für den noch unwahrscheinlicheren Fall eines offiziellen Streiks sollte das Arbeitsrecht genutzt werden, um jene Gegenden zu schützen, die die Abstimmung boykottieren und weiter arbeiten wollen …«
Der Jude übt wieder mal seine Rede. Er wird die Daumenschrauben anziehen –
Er redet hinten im Mercedes mit sich selbst. Er spricht von sozialer Sicherheit, von der Aussetzung der Lohnfortzahlungen, von zu späten Auszahlungen. Er spricht von den Aufsichtsräten der Strom- und Gasversorger, davon, dass sie wöchentliche Abschlagszahlungen verlangen und andernfalls die Streikenden von der Versorgung abklemmen. Er spricht von den Banken und Wohnungsbaugenossenschaften, von Hypotheken –
Von Zwangsenteignung
–
Der Jude will die Daumenschrauben anziehen. Fester und fester –
Woche für Woche, Stück für Stück, Tag für Tag
–
»Um die vorderste Front des Sozialismus ein für alle Mal zurückzudrängen, Neil!«
Neil Fontaine hält am Kontrollpunkt am Ende der Downing Street an. Der Jude setzt eine Fliegerbrille und seinen breitkrempigen Panamahut auf und holt tief Luft. »Wünschen Sie mir Glück, Neil«, sagt er.
»Viel Glück, Sir«, sagt Neil und beobachtet, wie der Jude im Haus Nummer 10 verschwindet.
Neil hat an seine ganz eigenen Daumenschrauben.
Mitternacht, Mittwoch auf Donnerstag. Die erdabgewandte Seite des Mondes. Sie halten vor Vince’ Haus. Alles dunkel
–
»Warte hier«, sagt der Mechaniker zu Jen
.
Er steigt aus, geht die Einfahrt entlang, klingelt, klopft
.
»Wer ist da?« ruft Vince. »Was wollen Sie?«
»Ich bin’s«, sagt der Mechaniker. »Ich muss mal mit dir reden.«
Schlüssel drehen sich, Ketten fallen. Vince Taylor öffnet
–
Der Mechaniker leuchtet ihm mit der Taschenlampe voll ins Gesicht. Vince’ Hand geht nach oben
–
Vince weiß Bescheid.
»Dave«, sagt er, »tu das weg.«
»Vince«, ruft seine Frau über den Flur. »Was zum Teufel ist da los?«
»Nichts, Liebes«, antwortet er. »Schlaf weiter.«
Der Mechaniker lässt die Taschenlampe sinken
.
Vince zieht den Gürtel seines Hausmantels enger. Er schaut die Einfahrt entlang und fragt: »Wen hast du denn da bei dir?«
»Jen.«
»Verdammt«, sagt Vince
.
Der Mechaniker nickt und fragt: »Schaub? Leslie?«
»Nur Leslie«, antwortet Vince
.
»Schaub?«
»Keine Ahnung.«
»Und wo ist Leslie?«
»Er hat Angst,
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