GB84: Roman (German Edition)
sagte. Jemand meinte, so ein Scheiß. Darüber mache man keine Witze. Das ist kein Witz, antwortete Pete. Er wünschte sich, es wäre einer. Es sei aber keiner. Das ist kein Witz, sagte er – das ist Krieg. Richtiger Krieg – Es sah aus wie der Dritte Weltkrieg – Dichter Nebel. Stockfinster. Überall Feuer und Barrikaden – hab noch nie so viele fliegende Flaschen und Ziegel gesehen. Das Bushäuschen, kaputt. Laternenpfähle. Die Wand der Methodistenkirche. Milch floss über die Straße, die Jungs hatten einen Milchwagen geklaut – die Schlacht von Brampton Bierlow, gleich im Schatten der Zeche Cortonwood. So war es – Dreitausend Kumpel. Mindestens zweitausend von denen, locker – und alles nur wegen eines lausigen Streikbrechers. Ein Einziger, und dann auch noch ein Ausländer – den haben sie extra hergeholt. Die Kumpel von Cortonwood ließen eine ausgestopfte Puppe an einem Galgen über dem Streikpostenhäuschen baumeln –
Das ist für Scabs
, stand auf dem Schild, das der Puppe um den Hals hing. Das war alles letzten Freitag. Das war schon schlimm genug – Heute ist Montag. Und alles ist noch schlimmer – Jetzt sind es sechs. Sechs verdammte Streikbrecher in Cortonwood. Unfassbar – Keith schätzt, die Hälfte von denen sind Bullen – Das hoffe ich. Aber im Innersten weiß ich, es sind keine, es sind Scabs. Das macht mich total wütend. Ich koche vor Wut. Ist bei allen so – die Spannung ist enorm. Rasender Zorn. Aber es ist hoffnungslos. Tausende Polizisten. Tausende – Hunde. Pferde. Fahrzeuge. Schilde – Selbst wenn wir die alle in die Flucht schlagen, warten in den Seitenstraßen noch weitere tausend. Sie parken auf Rastplätzen, lassen die Funkgeräte laufen. Tausend Männer, die nur auf ein Wort lauern, es kaum erwarten können. Dieses eine Mal wünschte ich mir, wir würden auftauchen, und es wären nur wir und die Streikbrecher da – nicht um sie fertigzumachen – nur um zu reden. Um ihnen Vernunft beizubringen – ihnen zu sagen, dass sie uns schwer getroffen haben. Uns in den Rücken gefallen sind. Uns die Herzen gebrochen haben – Aber es ist hoffnungslos. Verdammt hoffnungslos – schlimmer als Orgreave. So als sei wirklich die letzte, entscheidende Schlacht zwischen beiden Seiten ausgerufen worden – Keine Gefangenen. Nur wir und die – Keine Menschen mehr, nur noch Zahlen. Blutige Leiber. Reinstes Kanonenfutter. Kampf bis zum Ende, sagen sie – aber es gibt kein Ende. Weil es einfach immer so weitergeht – Der Letzte, der noch auf den Beinen ist, hat gewonnen. Der Sieger kriegt alles – in ganz South Yorkshire. Bentley. Dinnington. Dodworth. Frickley. Hickleton. Maltby – in der ganzen Gegend. Es bricht einem das Herz – Getreten und niedergeknüppelt. Gebissen und geschlagen. Von Steinen getroffen – das getretene, geknüppelte, gebissene, geschlagene, getroffene Herz. Tag 255 . Zwei junge Brüder sind beim Kohlenklauben umgekommen. In Goldthorpe. Paul und Darren hießen sie. Paul war fünfzehn,
SIEBENUNDDREISSIGSTE WOCHE
Montag, 12. November – Sonntag, 18. November 1984
Der Jude und Neil Fontaine verbringen ein schmutziges Wochenende, weg von daheim. Der Jude fliegt erster Klasse, Neil Economy. Von Heathrow nach Dublin zu dem nicht mehr ganz so geheimen Konto der Gewerkschaft. Das Geld ist gefunden worden. Man hatte es von Sheffield auf die Isle of Man und von dort nach Dublin geschafft. Da ist es eingefroren worden. Drei Millionen Pfund. Doch die Gewerkschaft hat auf Freigabe geklagt. Der Jude macht sich Sorgen wegen des irischen High Courts; und dass die Gewerkschaft tatsächlich gewinnen könnte; dass das Geld flüchten, sich in Luft auflösen könnte. Also fliegt der Jude hin, um mit den irischen Anwälten zu trinken und mit den englischen Zwangsverwaltern zu dinieren. Der Jude kann mit einer ziemlichen Summe an Spendengeldern wedeln. Neil überlässt dem Juden das Tricksen. Er macht lieber Filme. Schmutzige Hobbyfilmchen. Er besucht den Richter in dessen hübschem Haus in einer hübschen Gegend der Stadt. Der Richter erlässt eine einstweilige Verfügung gegen die Gewerkschaft und schwört, sie auch nicht wieder aufzuheben. Neil fährt zurück ins Hotel des Juden. Der Jude hat sich recht früh nach oben zurückgezogen. Neil kann nicht schlafen. Er schließt ab, stellt einen Stuhl gegen die Tür, dreht Fernseher und Radio laut. Neil mag Dublin nicht. Er mag Irland und die Iren nicht. Ob Süden oder Norden, katholisch oder protestantisch. Es gibt bei denen nur
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