GB84: Roman (German Edition)
kleinen, kleinen Welt
–
So bleibt sie stehen, so dreht sie sich –
So bleibt sie stehen und dreht sich weiter.
MARTIN
Darren vierzehn. Sie hatten nach Kohle gebuddelt, um ein wenig Geld für Weihnachtsgeschenke zusammenzukriegen. Mit bloßen Händen, für zwei Pfund pro Sack. Zwei Pfundnoten. Das war alles. Der Abraum ist über ihnen eingestürzt und hat sie erdrückt. Begraben. Erstickt. Getötet. Keine Kameras, die das gesehen haben – keine Reporter. Nur zwei junge Burschen, tot unter einem Berg Abraum. Zwei Jungen, die Mom und Dad ein Weihnachtsgeschenk kaufen wollten – ihr Vater hat keine Arbeit. Kein Geld – Jetzt hat er auch seine Jungs nicht mehr. Jetzt hat er nichts mehr – Die beiden sind die Todesopfer fünf und sechs beim Kohlenklauben in Yorkshire. In diesem Jahr. 1984. Drei davon waren nicht mal alt genug, um rauchen zu dürfen. Geschweige denn wählen – Im Welfare Club herrscht heute Stille. Den ganzen Tag über. Selbst in der Küche. Keiner sagt ein Wort. Niemand –
Die Scherben stürzen hinunter. Sie fallen klirrend zu Boden – Sie flüstern und sie hallen wider
– Ich wache auf, dann nehme ich den Bus nach Sheffield. Tag 261 . Sie hängen die Weihnachtsbeleuchtung auf. Stellen den Weihnachtsbaum auf. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal hier war. Das muss wohl mit Cath gewesen sein. Als wir gerade eingezogen waren, sind wir immer zweimal im Monat hergekommen. Schaufensterbummel. Haben uns alles angeschaut, was man für Geld kaufen kann – Dreiteilige Anzüge. Schlafzimmer. Kühl-Gefrier-Kombinationen. Videorekorder – Aber Cath wollte nicht nur schauen, sie musste auch etwas kaufen. Ich hab sie ermutigt. Danach fühlte sie sich immer besser. Das hielt ein, zwei Tage an. Dann tauchten die Kataloge wieder auf. Das Maßband. Das war bei ihr wie eine Droge. Einkaufen. Alle leeren Räume ausfüllen. Sie brauchte ihren Schuss, sonst war nicht mit ihr zu reden. Wie bei einer Sucht. Sie hat uns sogar eine Steinfassade ans Haus machen lassen. Was das allein gekostet hat! Und sah noch nicht mal gut aus. Aber deswegen bin ich jedenfalls hier. Um sie zu sehen. Auch wenn ich im Innersten weiß, dass ich sie nicht sehen werde – ich streife nur umher und schaue mir die Dinge an, die ich nicht haben kann. Dann die Dinge, die ich nie wieder haben werde – Dreiteilige Anzüge. Schlafzimmer. Kühl-Gefrier-Kombinationen. Videorekorder – Dinge, die ich nicht wieder haben will. Dinge, die ich nie haben wollte – Die haben hier nichts, was ich haben will. Das, was ich möchte, kann man nicht kaufen. Hier nicht. Nicht mehr. Nicht in diesem Land, nicht in dieser Zeit – Was ich möchte, ist, zurückkehren. An die Arbeit gehen – aber nicht in einem Bus mit Maschendraht vor den Scheiben. Nicht mit einer Kapuze mit Sehschlitzen über dem Kopf – Ich will einfach dort hinfahren. Meinen Wagen neben all den anderen abstellen. In die Kaue gehen und mit den Kumpeln scherzen. Im Käfig einfahren. Meine Schicht machen und mein Brot essen, malochen und wieder nach oben fahren. In die Waschkaue und dann die Uhr stechen. Auf direktem Weg nach Hause – zur Frau. Zu meiner Frau. Zu meiner Cath – das möchte ich. Mehr will ich gar nicht – Ich will meine Frau zurück. Meine Arbeit – Mein Leben. Das Leben, das ich hatte – mehr will ich nicht. Aber daran glaube ich nicht mehr. Nicht hier. Nicht in diesen Zeiten – Tag 264 . Wieder mal Sonntag. Ein verdammter Sonntag. Ich kann nicht im Haus bleiben. Ich gehe ins Hotel. Ich habe gerade genug für ein halbes Pint. Zu Fuß hin und zurück, das wird wohl den Großteil des Tages dauern. Frischluft hilft mir beim Schlafen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann. Wirklich nicht. Ich weiß, es gibt welche, die hielten das für das Beste, was jemals in ihrem Leben passiert ist. In den ersten paar Monaten zumindest. Vor allem die mit Kindern – Plötzlich hat man mehr Zeit für sie. Kann bei den Hausaufgaben helfen. Mal was anderes machen. Sachen, zu denen man vorher nie kam – Schwimmen, Fußball, Angeln, Jagen – Ich frage mich, was sie jetzt darüber denken. Nach neun Monaten. Neun verdammten Monaten – Neun Monate Toast zum Frühstück. Suppe zu Mittag. Spaghetti zum Abendbrot. Neun Monate lang keine neuen Sachen für die Kinder. Neun Monate lang nur Almosen und die abgelegten Sachen von anderen. Neun Monate, in denen ihre Frauen versuchten, mit dem wenigen auszukommen und alles zusammenzuhalten. Neun Monate, in denen alles
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