GB84: Roman (German Edition)
Streikfront überschreiten, sind sie Streikbrecher – Im Sommer waren sie doch auch schon mal drin, sagte er. Sie alle haben uns damals geholfen. Ja, sagte ich. Aber da gab es auch noch keine Streikfront, richtig? Weil es noch keine Scabs gab. Deshalb haben wir geholfen. Und welchen Dank haben wir dafür erhalten? Sie haben die Streikbrecher wieder aufgenommen. Schöner Dank. Sollen die Ihnen doch helfen – Wir wollten sie nicht wieder, sagte er. Das NCB hat uns dazu gezwungen. Wir mussten – Das mag schon sein, meinte ich. Aber nun gibt es eine Streiklinie, und keiner wird sie überschreiten – Und was machen wir jetzt?, fragte er. Sollen wir das Wasser einfach steigen lassen? Sollen sich doch all die Scabs, die Sie haben, darum kümmern, sagte ich. Das sind nicht genug Männer, und die, die wir haben, sind unfähig, und das wissen Sie auch. Na, dann hätten Sie sie ja auch nicht aufzunehmen brauchen, oder? Er schüttelte den Kopf und sagte, die Zeche wird volllaufen, und dann gibt es für niemanden mehr Arbeit. Wollen Sie das? Hören Sie, sagte ich, ich rufe in Barnsley an und lasse einen Ingenieur von der Gewerkschaft kommen. Mal sehen, was der sagt – Danke, Pete, sagte der Vize. Vielen Dank –
Es riecht nach Holz. Nach Mäusen
– Tommy Robb kam sofort her, kaum dass ich angerufen hatte.
Klick-klick
. Tommy war der für die Gegend zuständige Ingenieur der Gewerkschaft. Er traf sich mit Barry und mir und dem Zechendirektor und seinem Vize. Die Streikpostenwache war für die Dauer unseres Aufenthaltes aufgehoben. Tommy wollte sofort nach unten fahren. Das war ein Problem, denn die Einzigen, die die Förderanlage bedienten, waren Männer, die an der Förderanlage eigentlich überhaupt nichts zu suchen hatten. Und solange sie sie bedienten, konnten Tommy, ich und Barry unmöglich einfahren. Das wiederum hieß, ich musste mit dem Vertreter der Maschinistengewerkschaft in Kontakt treten.
Klick-klick
. Ich rief ihn an, und er kam, damit wir einfahren konnten. Davor hatte ich am meisten Schiss. Aber so richtig – seit fast einem Jahr war ich nicht mehr da unten gewesen. Vor allem, weil
EINUNDVIERZIGSTE WOCHE
Montag, 10. Dezember – Sonntag, 16. Dezember 1984
Der Jude hat das Wochenende in seiner Zuflucht in Colditz verbracht. Er hat seine Majore und Generäle um sich versammelt. Er hat sie gebeten, schwarze Anzüge und Krawatten einzupacken. Er selbst trägt seine Lederjacke. Neil Fontaine macht die Sicherheitschecks am Helikopter. Sie nehmen in der riesigen Küche des Juden ein deftiges Frühstück zu sich. Dann fliegt der Jude die führenden Köpfe des NWMC runter nach Cardiff –
Die Wolkendecke ist dicht, die Sicht schlecht. Der Flug ist unangenehm, die Passagiere sind grün im Gesicht.
Neil hat eine Limousine für sie angemietet. Er fährt sie vom Flughafen zum Krematorium. Das NWMC riecht nach Zigaretten und dem Bier von letzter Nacht. Sie streiten sich untereinander um Geld. Zwei von ihnen kotzen in Einkaufstüten. Der Jude sitzt hinten zwischen seinen Majoren und Generälen und schaut auf die Uhr. Sie kommen zu spät zur Beerdigung von Derek Atkins.
Neil hebt zwei Kränze aus dem Kofferraum –
Du hast den höchsten Preis für die Demokratie bezahlt
.
Er reicht sie dem NWMC –
Ruhe ruhmreich in Frieden
.
Das NWMC betritt das Krematorium. Der Jude wartet mit Neil im Wagen. Er spricht kein Wort.
Regen treibt von den Brecon Beacons und den Black Mountains herüber und fällt in den Severn.
Eine halbe Stunde später verlässt die Familie des ermordeten Taxifahrers das Krematorium.
Neil öffnet die hintere Tür der Limousine und hält einen Regenschirm über den Juden.
Der Jude geht auf die Familie zu und umarmt die Lebensgefährtin des toten Taxifahrers. Er legt einen Geldumschlag in ihre feuchten Hände –
»Ihr Lebensgefährte ist nicht umsonst gestorben«, sagt er zu der jungen Witwe. »Wir werden weiterkämpfen, und wir werden siegen.«
Malcolm Morris bat um seinen Schlüssel, Zimmer 307. Er nahm den Fahrstuhl und ging an den Badezimmern im Flur vorbei
–
Alle Zimmer waren leer und still
.
Malcolm schloss auf. Er trat ein und hängte das
BITTE-NICHT-STÖREN -
Schild an die Außenklinke. Er machte die Tür zu und schloss ab, zog sich die Schuhe aus und stellte sie aufs Doppelbett. Er zog die Vorhänge zu, legte die Hose ab, faltete sie auf dem Bett. Dasselbe tat er mit der Jacke. Er stellte sich vor den Spiegel und wickelte den Verband ab. Er nahm die Watte aus den Ohren und sah in
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