GB84: Roman (German Edition)
den Spiegel
–
Ein neues Gesicht an einem alten Ort.
Die Armee hatte ihm beigebracht, zu leben, zu überleben. Für ’85. Die Armee hatte ihm beigebracht, zu lauschen, auf das Klopfen an der Tür mitten in der Nacht. Es zu erwarten. Die Fahrt in die Wälder. Die Waffe am Hinterkopf. Spaten und Grube. Aber sie würden es nie erfahren
–
Nie die Wahrheit von den Lügen unterscheiden können, die Lügen von der Wahrheit
–
Würden nie erfahren, welche Geheimnisse verkauft, welche bewahrt wurden
–
Was er alles im Ärmel stecken hatte
.
Die Armee hatte ihm beigebracht, zu leben, zu überleben. Ulster hatte diese Fähigkeit geschärft, verbessert
–
Unter all dem Tod zu leben.
Dann hatte der Dienst ihn nach Hause gebracht. Um allein zu leben, in einem Haus, mit Auto und Rentenanspruch. Um zu lauschen, auf das Klopfen an der Tür mitten in der Nacht. Es zu erwarten. Die Fahrt in die Wälder. Die Waffe am Hinterkopf. Spaten und Grube
–
Die Wahrheiten und die Lügen. Die verkauften und die bewahrten Geheimnisse
–
Die Dinge in seinem Ärmel
.
Der Dienst hatte ihn nach Hause gebracht
.
Unter all dem Leben zu sterben.
Malcolm Morris griff nach dem Telefonhörer, wählte die Nummer
.
Der Jude ist mal wieder sauer, stinksauer. Gestern war der erste Tag seit Streikbeginn, an dem in Yorkshire wieder Kohle gefördert wurde. Ein Sieg, ein großartiger Sieg in dieser langen Auseinandersetzung –
Bergleute fördern in Manton
.
Es hätte in den Schlagzeilen sein müssen. Die Todesglocken für Stalin –
Aber nein
.
Der Minister hat die Ziele des Juden gekidnappt, hat sich heimlich mit dem TUC getroffen. Der TUC hat hinter dem Rücken der NUM verhandelt. Der Minister hat den Vorsitzenden übergangen. Und den Juden auch –
»Kein Wunder, verdammt, dass die Zahlen stagnieren«, brüllt der Jude –
Der Jude muss gegen Schwachstellen vorgehen, innen wie außen –
Er kann nicht ruhen, darf nicht nachlassen.
Neil Fontaine stellt die Hotelmöbel wieder hin. Er hebt die Morgenzeitungen auf und nickt. Dann fährt er den Juden ins Hobart House. Er wartet vor dem Büro des Vorsitzenden –
Der ist bereits außer sich –
»Dieser verdammte Penner drückt denen einfach hunderttausend Mäuse in die Hand«, brüllt der Vorsitzende. »Hunderttausend Mäuse für die Roten Garden zu Weihnachten. Einfach so!«
»Ich finde«, unterbricht ihn der Jude, »wir sollten dem noblen Lord mal einen Besuch abstatten.«
Neil fährt die beiden zu einer Privatklinik in der Harley Street. Er begleitet sie zu einem Zimmer im oberen Stockwerk –
Der Jude kennt Lord John aus alten Zeiten. Lord John wacht auf und begrüßt ihn wie einen verlorenen Sohn –
»Stephen, Stephen Sweet!« ruft er schrill. »Wo bist du denn nur die ganze Zeit gewesen?«
Der Jude setzt sich auf die Bettkante und hält Lord Johns Hand.
»Wie zart du wirkst, lieber Johnny«, sagt er mit Bedauern in der Stimme. »Behandeln sie dich gut?«
»Die Schwestern sind die reinsten Xanthippen«, antwortet der Lord. »Drachen.«
»Johnny«, sagt der Jude, »ich möchte dich mit dem Vorsitzenden des NCB bekannt machen.«
Der Vorsitzende tritt vor, nickt, streckt aber nicht die Hand aus.
Der Lord kichert und flüstert dem Juden etwas ins Ohr. Er verbirgt sein Gesicht hinter einem Kissen und linst zwischen den Fingern hindurch. »Hat er mir Weintrauben mitgebracht, Stevie Sweet?«
»Johnny«, fragt der Jude, »hast du den Bergleuten Geld gegeben?«
Der Lord setzt sich aufrecht hin. Er ordnet seine Kleidung und fragt zurück: »Und was, wenn?«
Der Jude gibt ihm eine Ohrfeige. »Idiot! Dummkopf!«
Der Lord lässt sich weinend in die Laken fallen, zieht das Kissen an sich und umklammert es.
»Willst du, dass deine liebe Mama bei Woolworth arbeiten muss, Johnny?« fragt der Jude. »In Dienstkleidung? Mit einem Namensschild?«
Der noble Lord schüttelt den Kopf.
»Das hat der Präsident nämlich mit unserer Queen vor«, sagt der Jude.
Der Lord schluchzt.
»Und dann stell dir nur mal vor, was sie mit dir machen, dummer Johnny.«
Der noble Lord John schaut hinter dem Kissen hervor. »Was denn, Stevie?« fragt er. »Was denn?«
Der Jude wendet sich an Neil. Neil reicht ihm den großen Umschlag. Der Jude öffnet ihn und legt die Fotos auf dem Bett des Lords aus –
Zehn Bilder von zerschlagenen Gesichtern, gebrochenen Knochen und ausgebrannten Häusern.
Lord John schaut ungläubig und schluckt. »Mit mir? Die haben so etwas mit mir vor?«
»Viel
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