GB84: Roman (German Edition)
mehr für Massenentlassungen geben. Dann wäre die halbe Belegschaft schon weg. So die Gerüchte. Dazu irgendwelches Gerede über eine mögliche Privatisierung der Zechen. Das war noch so ein Gerücht, das die Runde machte, und der Grund, warum sich viele darüber aufregten, dass die Zeche volllief und in so schlechtem Zustand war – keiner würde eine kaputte Zeche kaufen, oder? Und zu allem Überfluss gab es noch den Ärger mit Nottingham, die wollten das Regelwerk ändern – dazu würde es wohl kommen. Das war offensichtlich – Schluss mit den alten Wendehälsen, meinten die meisten. Die kriechen wieder zu Kreuze, wie letztes Mal. Doch dann brachen die Gespräche ab, und es schwirrten Gerüchte herum bezüglich der Zukunft der NUM. Was wohl passieren würde, wenn es zwei Gewerkschaften gäbe und so weiter – Gerüchte. Spannungen – alles das Werk der Streikbrecher. Die hatten kein Schamgefühl mehr – Einmal war da ein älterer Kerl im verdammten Komitee. Er hatte immer behauptet, ein ganz Militanter zu sein. Wäre sogar schon mal mit König Arthur in der Sowjetunion gewesen und erzählte einem gern, was für ein Paradies auf Erden dort herrschen würde. Dann waren da noch zwei andere, die härtesten Typen, die wir auf Streikposten gehabt hatten. Knallhart. Und plötzlich hockten die drei im Streikbrecherbus, lachten und winkten all ihren alten Kumpeln auf Streikposten zu. Die drei steckten hinter all diesen Gerüchten – Gerüchten, die die Leere füllten. Das machte das Ganze nur noch schlimmer – Wir hatten keine Neuigkeiten für die Kumpel. Mehr als Gerüchte gab es nicht – dunkle Zeiten. Tage, an denen ich durch die Straßen ging und es wie ein Totendorf wirkte – wie auf diesen alten Fotos oder so. Kleine Gestalten überall, ganz mager und verhärmt. Die Kleidung schlotterte an ihnen. Sie schoben ihre Babys zum Welfare Club – die Damen gingen die Kleiderstapel durch, die andere gespendet hatten. Ausrangiertes und Abgetragenes – Sie packten Dosen und Schachteln in Pakete. Kochten drei Mahlzeiten
ZWEIUNDVIERZIGSTE WOCHE
Montag, 17. Dezember – Sonntag, 23. Dezember 1984
Der Ehrenwerte Parlamentsabgeordnete traf sich mit Malcolm Morris in der Tiefgarage
–
In den Schatten, im Hintergrund, wo niemals richtig Licht hinfällt
–
Sein Mund bewegte sich, seine Finger deuteten umher. Er stellte Fragen
–
Malcolm konnte nicht antworten, konnte nichts hören
–
Aber Malcolm hatte die Bänder
.
Darauf würden sie die Antworten finden. Sie konnten sie sich anhören, diese Aufzeichnungen der Toten
.
Terry steckte sich zwei seiner abgekauten Finger in die Ohren. In den Fluren spielten sie mal wieder Weihnachtslieder. Um die Moral zu heben, meinten die Jeansträger. Selbst die Tweedjacketts pflichteten dem bei. Terry nahm noch drei Aspirin –
Weihnachten. Weihnachten. Weihnachten
–
Man redete von nichts anderem mehr. Auch am Telefon.
Klickklick
–
Lastwagen voller Spielzeug aus Frankreich, Polen, Australien –
Weihnachtsmannkostüme und Plastikbäume, Partyhüte und Weihnachtsspiele –
Truthähne mit allem Drum und Dran
–
Das war alles, woran sie dachten, worüber sie sich Sorgen machten.
Terry nahm nur seine Akten mit. Den Taschenrechner brauchte er nicht mehr. Er schloss das Büro ab und ging die Treppe hinauf zum Konferenzraum –
Der Lift war defekt.
Terry klopfte an, trat ein, setzte sich auf seinen Platz neben dem Ausgang –
Der Fette Mann und seine sieben fetten Freunde hatten gerade ihren Bericht abgeliefert, in dem stand, dass die Bemühungen, die Öllieferungen zu blockieren, kaum erkennbare Wirkung zeigten; dass es recht unwahrscheinlich sei, dass bei den Kraftwerken entscheidende Brennstoffverknappungen aufträten; dass die Aussichten auf eine frühzeitige Beendigung der Auseinandersetzung gering seien –
Gering
.
Also waren der Fette Mann und seine sieben fetten Freunde zum Minister gegangen –
Mal wieder
.
Der Präsident sah sie aus müden Augen an. Er schlief nicht mehr. Auch Dick nicht, Paul, Len, Joan, Alice, Mike –
Keiner von ihnen –
Immer hell, niemals dunkel
.
»Wir wünschen nicht, dass der TUC oder sonst wer losgeht und für etwas plädiert, das die NUM untergräbt«, erklärte der Präsident.
Der Fette Mann blinzelte nicht, zuckte mit keiner Wimper. »Was willst du denn?«
»Erinnerst du dich an all die Versprechen, die ihr im September gegeben habt?« fragte der Präsident. »Die Entscheidungen, die der TUC gefällt hat? Über die
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