Gebannt: Band 3 (German Edition)
nur, dass es da etwas gibt, was du mir nicht sagst. Und ich frage mich, was dich dazu gebracht hat, ihn zu schlagen.«
Ich hasste, dass er mich so gut kannte, dass er mich wie kein anderer durchschaute. Ich glaubte jetzt, dass es einen Sinn ergab, weshalb er vor allen anderen diese Fähigkeit hatte – ich wünschte, das wäre der einzige Nebeneffekt, wenn man seelenverwandt war. Ich überlegte, ob ich ihm sagen sollte, was ich herausgefunden hatte – dass Phoenix dafür gesorgt hatte, dass Rudyard umgebracht wurde, damit wir Zeugen davon werden würden, was mit Nyla geschah – aber das hätte ihn nur verletzt und noch wütender gemacht.
» Nichts«, sagte ich.
» Wenn du das sagst«, sagte er, wobei er mich noch immer genau im Auge behielt. » Ich weiß, du würdest es mir sagen, wenn du denken würdest, dass ich es wissen muss. Und … Was dieser Verbannte über Phoenix und dich gesagt hat …« Er seufzte frustriert, und ich fragte mich, ob es meinetwegen war, aber dann überraschte er uns beide, indem er den Arm ausstreckte und mit den Fingern über meine Stirn am Rand meiner Mütze entlangstrich.
» Es ist nicht wahr.«
Ich nickte, mein Herz klopfte bei seiner Berührung, aber er ließ seine Hand sinken, als seine Kraft wieder aufflammte und noch mehr seidigen Honig schickte.
» Soll ich dich nach Hause begleiten?«, fragte er, ohne sich aufzudrängen.
Am liebsten wäre ich in Tränen ausgebrochen. Es war schon schlimm genug, wenn man Hure genannt wurde, aber als die Hure von jemandem bezeichnet zu werden, der Leute umbrachte, die einem am Herzen lagen – und das auch noch in Gegenwart der einen Person, von der man am meisten fürchtete, sie könnte so von einem denken …
» Ich würde lieber allein gehen, ich muss ja nur die Straße runter«, sagte ich, während ich darum kämpfte, die Beherrschung zu behalten, bis ich weg von ihm war.
Er nickte. » Ich sollte ohnehin mal zurückgehen und nachschauen, ob die Frau gut entkommen ist.«
Ich wollte gerade gehen, als mir etwas einfiel. » Linc, du hast mich heute gespürt, nicht wahr?«
Er war gerade dabei, sich umzudrehen, und hielt mitten in der Bewegung inne. » Als du dich verletzt hast? Ja.«
» Nein, das meine ich nicht. Ich meine, du hast gespürt, dass ich darau f reagiert habe, als würden wir uns gegenseitig nicht nur bemerken, sondern eher so, als würden wir kommunizieren.«
Er dachte einen Augenblick darüber nach. » Ja …«, sagte er unbehaglich.
Soweit ich wusste, hatte er das bisher nicht gekonnt. Nichts davon.
» Seit wann?«, wollte ich wissen.
Er zögerte wieder, bevor er antwortete. Mehr Honig kam in Bewegung. Warum schöpfte er so viel Kraft?
» Seit heute.«
Kapitel Sieben
» Wir vermögen zwar damit vielleicht jeder Kritik zu entgehen, ja vielleicht uns selber zu täuschen im Glauben an unsere so offensichtliche Rechtschaffenheit. Aber tief unter der Oberfläche des Durchschnittsgewissens sagt uns eine leise Stimme: Es stimmt etwas nicht.«
C. G. Jung
Die Nacht des Austausches.
Sechs Wochen lang bereiteten wir uns nun schon darau f vor. Seit ich die SMS von Phoenix erhalten hatte, nachdem er bemerkt hatte, dass Jude ihn verraten und uns die Schrift der Verbannten gegeben hatte.
Fast vier Wochen hatte es gedauert, bis wir uns einfach nur über die » Methode« des Austausches geeinigt hatten. Ein einfacher Austausch von Angesicht zu Angesicht wurde schon in Woche eins ausgeschlossen – es wäre zu einfach für Phoenix, seine Macht über mich einzusetzen und die Wunden, die er einst geheilt hatte, wieder aufzureißen. Er könnte mich verbluten lassen, sobald die Schrift in seiner Gewalt wäre, und er wusste auch, dass ich, wenn ich zuerst zum Zug käme, meine Fähigkeiten nutzen und ihn endgültig vernichten würde. Und das war nicht das einzige Problem, vor das wir uns gestellt sahen. Fast jedes Übergabeszenario, das wir uns überlegten, nahm kein gutes Ende, weil unser gegenseitiges Misstrauen einfach zu groß war.
Vorbeifahren-und-fallenlassen würde bei Phoenix Geschwindigkeit niemals funktionieren, und sein Vorschlag, normale Menschen als Mittelsmänner zu benutzen, war schnell vom Tisch. Vorbeifliegen-und-fallenlassen … das war Spence’ Idee, dazu brauche ich wohl nichts zu sagen. Selbst die Idee einer komplizierten Schnitzeljagd au f einem öffentlichen Platz – Stephs Vorschlag – hatte Schwächen.
Natürlich kümmerte uns das nicht wirklich. Wir hatten unsere eigenen Pläne, aber es sollte nicht so
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