Gebannt: Band 3 (German Edition)
Wächtertum an der Akademie belegt hatte.
Ich blieb an der gegenüberliegenden Wand stehen, die fast ganz aus Glas bestand, durch das man einen Ausblick au f das wogende Meer hatte. Das Spiegelbild des Vollmonds funkelte im Wasser und schwankte durch die kontinuierliche Bewegung. Wir befanden uns tie f unter dem Leuchtturm, die Glasfront war – für das menschliche Auge offensichtlich verborgen – in die Klippenoberfläche eingebettet.
» Schön«, erklang eine fließende Stimme aus der Ecke des Raumes.
Mir stockte der Atem und ich suchte nach dem Besitzer der Stimme.
Jemand war hinter uns aufgetaucht, während ich die Aussicht bewundert hatte. Ich hatte nicht einmal die Sinneswahrnehmungen beachtet, die stärker geworden waren. Ähnlich wie bei meiner Kunst hatte ich es zugelassen, dass ich vom Design des Raumes abgelenkt wurde, ein möglicherweise gefährliches Versehen.
Ich hatte nicht einmal gehört, wie sich die Tür geöffnet hatte, ein Gedanke, der mich schaudern ließ. Ich war f Lincoln einen Blick zu, aber er rührte sich nicht. Er schien nicht einmal zu mir herüberzuschauen.
Zu meiner Erleichterung hatte der Fremde – offenbar ein Verbannter – ein Gesicht. Die Leere der Schreckensgestalten, die uns begrüßt hatten, hing mir noch immer nach, zerrte an vergrabenen Gefühlen, von denen ich nicht wollte, dass sie wieder an die Oberfläche kamen. Seltsamerweise war dieses Wesen nicht so auffällig wie die meisten anderen Verbannten. Er war hübsch, aber trotz seiner beeindruckenden Größe au f eine sanfte Art. Haselnussbraunes Haar fiel ihm in sanften Wellen ums Gesicht, freundliche Runzeln waren in seine gebräunte, olivfarbene Haut eingraviert und seine mokkafarbenen Augen wirkten warm, aber gleichzeitig gefährlich. Er war breitschultrig und muskulös, doch seine feinen Züge hielten irgendwie alles im Gleichgewicht. Er sah wie ein freundlicher Riese aus. Aber er war ein Verbannter.
Ich konzentrierte mich au f meine Sinne, ließ sie die Wahrheit für mich malen. Er schmeckte nach mehligen roten Äpfeln, wie Früchte, die gefroren und später aufgetaut waren. Er roch eher nach Kräutern als nach Blumen – Thymian und Rosmarin. Das Geräusch schlagender Vogelflügel, die in Bäume krachten, war nicht viel anders als sonst, ebenso die gegensätzlichen Empfindungen von Wärme und Kälte, die durch mein Blut und meine Knochen flossen. Doch als ich nach dem Aufblitzen von Morgen und Abend suchte, das immer kam, wenn ich in der Nähe eines Verbannten war – war da nichts.
Er legte die Entfernung zwischen uns zurück und blieb vor mir stehen.
» Unglaublich schön«, sagte er und schaute mich von oben bis unten an. Er war f einen Blick zu Lincoln hinüber, der so still geworden war in seiner Ecke, dass selbst ich seine Anwesenheit kaum wahrnahm.
» Ich werde heute Abend aber verwöhnt.« Verlangen blitzte hinter seinen sanften Augen auf.
Nervös räusperte ich mich. Mir war klar, dass ich als diejenige, die mit dieser Aufgabe betraut worden war, das Reden übernehmen musste, wenn das alles funktionieren sollte.
» Wir sind hier, um dir den Schmuck zu geben und dafür die Erlaubnis zu erhalten, au f Santorin zu bleiben.« Mein Mund war so trocken, dass ich zwischen den Wörtern schlucken musste.
» Dazu kommen wir gleich. Möchtest du nicht vielleicht zuerst mit mir zu Abend essen? Oder zumindest etwas trinken?« Er lächelte gefährlich, was mir dabei half, meinen ersten Eindruck zu überdenken.
Ich wusste nicht, was wir sagen sollten – aber Josephine hatte nichts davon gesagt, dass wir zu einer Mahlzeit bleiben müssen. » Wir würden es bevorzugen, den Austausch vorzunehmen und uns dann wieder au f den Weg zu machen.«
Er neigte den Kopf. » Dein Name?«
Ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden. » Violet.«
» Und dein Schatten?«
» Lincoln«, sagte ich und klang dabei so nervös, wie ich tatsächlich war. Niemandem von uns wäre geholfen, wenn ich so früh die Kontrolle über das Gespräch verlieren würde. Ich richtete mich ein wenig auf. » Und du bist wer?«
» Viele nennen mich heute einfach den Hüter. Davor war ich unter dem Namen Irin bekannt. Du kannst dir aussuchen, wie du mich nennst.«
» Okay, Irin.«
Eine gesichtslose Gestalt betrat mit einem Tablett den Raum, au f dem zwei Champagnerkelche standen. Sie blieb vor Irin stehen, der mir bedeutete, ein Glas zu nehmen. Doch ich konnte nicht aufhören, die seltsame Gestalt anzustarren, die das Echo von Qualen
Weitere Kostenlose Bücher