Gebannt - Unter Fremdem Himmel
Dann rief er einem der Bogenschützen zu: »Schieß ihm ins Bein. Nur in den Muskel. Nicht in die Arterien.«
Perry war dem Tod bereits einige Male nahe gewesen. Doch bei diesen Worten wusste er, dass seine letzte Stunde geschlagen hatte. Allerdings überfiel ihn in diesem Moment keine Furcht, sondern eine niederschmetternde Enttäuschung. Enttäuschung angesichts all der Dinge, die er noch hatte tun wollen. Dinge, von denen er wusste, dass er sie hätte tun können.
Der Bogenschütze hob den Bogen und zielte mit unbewegtem Blick durch die Krähermaske.
»Nein!« Aria stellte sich vor Perry.
»Geh zurück, Aria«, forderte er sie auf, doch als sie seine Hand nahm, ließ er es geschehen. Sie trat neben ihn, denn sie wusste instinktiv, dass er sie brauchte. Und auch Roar. Mit den beiden an seiner Seite konnte er aufrecht stehen bleiben und darauf warten, dass ihn ein Pfeil niederstreckte.
Der Bogenschütze zögerte, als er ihre ineinander verschränkten Hände sah.
»Perry …«, stieß Roar heiser hinter ihnen hervor. »Geh runter!«
Die elektrische Spannung des Äthers brannte Perry in der Nase. Zitternd wie ein Stromschlag lief sie ihm über die Haut.
In den Reihen der Kräher kam Unruhe auf. Sie schoben sich die Masken vom Gesicht, und als sie Cinder sahen, schrien sie entsetzt auf.
Er schritt durch die Menge der Kräher. Seine Adern zeichneten sich wie glühende Linien auf seiner nackten Brust ab. Seine ätherblauen Augen sondierten die Krähenmänner, die panisch aus dem Weg sprangen, mit schrill läutenden Schellen.
»Cinder«, sagte Perry.
Der Blick des Jungen fand ihn und blieb einen Moment auf ihn geheftet. Dann wandte er Perry den Rücken zu und hob die flachen Hände in die Höhe. Perry spürte einen Windzug, vergleichbar dem plötzlichen Atemzug vor einem Schrei. Er packte Aria an der Taille, sprang über den Felsvorsprung und landete auf Roar, als Cinder im selben Moment die Nacht mit flüssigem Feuer erhellte.
Sengende Blitze schossen an ihnen vorbei, während der Äther sein grässliches Kreischen ausstieß und damit die Schreie der Kräher übertönte. Perry presste die Augen fest zusammen, um sich gegen das grelle Licht der brennenden Ströme zu wappnen. Er schützte Roar und Aria, so gut er konnte, krallte sich mit den Fingern in die Erde, so als könnten sie fortgerissen werden.
Urplötzlich breitete sich eine Stille aus, die Perry die Ohren klingeln ließ. Mit einem kühlen Windhauch kehrte die Nacht zurück, strich ihm über die Arme. Lange Sekunden vergingen, bevor er imstande war, den Kopf zu heben. Der beißende Geruch von verbranntem Haar vermischte sich mit dem Gestank von verkohltem Fleisch und Holz. Perry versuchte auf die Knie zu kommen, konnte sich aber nur auf die Seite rollen.
Sterne. Durch ein riesiges Loch im Äther sah er Sterne. Klare, helle Sterne. Um dieses Loch herum wirbelte der Äther in einem gigantischen Strudel – wie bei einem Kieselstein, den jemand in einen Teich geworfen hatte. Doch anstatt sich auszubreiten, zog die Ätherschicht sich wieder zusammen und verhüllte mit ihrem blauen Schimmer allmählich einen Stern nach dem anderen.
Arias Gesicht erschien über ihm. »Perry, ist mit dir alles in Ordnung?«
Perry konnte nicht sprechen. Er schmeckte Asche und Blut.
»Roar!«, rief Aria. »Was ist mit ihm los?« Sie nahm Roars Hand und legte sie auf Perrys Stirn.
Nun starrte Roar auf ihn hinab. »Wo bist du verletzt, Perry?«
Überall , dachte Perry. Er wusste, dass Roar ihn hören konnte. Vor allem aber in der Kehle. Und was ist mit dir?
»Halb so wild.« Roar drehte sich zu Aria um. »Es geht ihm gut.«
Mit Arias Hilfe setzte Perry sich aufrecht. So weit das Auge reichte, waren die Bäume zu kohlrabenschwarzen Stümpfen verbrannt. Glühende Asche flimmerte in der Dunkelheit, doch Perry konnte nirgends ein Feuer entdecken. Und auch keine Leichen. Alles war verbrannt. Cinder hatte alles dem Erdboden gleichgemacht, mit Ausnahme einer einzigen Krähenmaske, die in der Asche lag. Das Silber hatte sich verzogen, wie geschmolzenes Wachs.
Ganz in der Nähe, in einem Kreis aus feinem, grauem Staub, lag eine halb verhungerte Gestalt mit kahlem Schädel. Perry rappelte sich auf. Cinder hatte sich zusammengekrümmt. Er war nackt, seine Kleidung zu Asche verkohlt. Auf seinem Kopf wuchs kein einziges Haar mehr. Seine leuchtenden Adern verblassten vor Perrys Augen und traten zurück unter die Haut.
Langsam öffnete er seine dunklen Augen einen dünnen Spalt
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