Gebannt - Unter Fremdem Himmel
Horchern saßen. Das bedeutete, dass Vale vermutlich allein auf der Jagd war.
Hastig schlang Perry die Hafergrütze hinunter, damit ihr Geschmack nicht zu lange in seinem Mund zurückblieb. Witterer besaßen von Natur aus einen hervorragenden Geschmackssinn, was nicht immer von Vorteil war. Denn der fade Brei nahm Spuren anderer Mahlzeiten aus der Holzschüssel auf und hinterließ den ranzigen Nachgeschmack von Pökelfisch, Ziegenmilch und Steckrüben auf seiner Zunge. Nachdem er seine Schüssel geleert hatte, kehrte er für einen Nachschlag zur Theke zurück – zum einen, weil er wusste, dass Brooke ihm die weitere Portion bereitwillig geben würde, und zum anderen, weil Nahrung nun mal Nahrung war. Als er auch diese Portion vertilgt hatte, lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme; er fühlte sich zwar nur noch leicht hungrig, hatte aber ein schlechtes Gewissen, dass er sich auf Kosten seiner Schwester satt aß.
Talon hatte eine Weile in seinem Essen herumgestochert und mit seinem Löffel klumpige Hügel angehäuft. Nun schaute er überallhin, nur nicht in seine Schüssel. Der kränkliche Anblick seines Neffen versetzte Perry einen Stich.
»Wir gehen jagen, okay?«, fragte Perry. Die Jagd würde ihm einen Vorwand liefern, mit Talon das Dorf zu verlassen und ihm den Apfel zu geben, Talons Lieblingsobst. Wenn Händler in ihre Gegend kamen, erstand Vale immer heimlich ein paar Äpfel extra für Talon.
Talon hörte auf, in seinem Brei zu rühren. »Aber was ist mit dem Äther?«
»Wir werden uns von ihm fernhalten. Komm schon, Talon – lass uns einen kleinen Ausflug machen.«
Talon rümpfte die Nase, beugte sich vor und flüsterte: »Ich darf das Dorf nicht mehr verlassen. Das hat mein Vater gesagt.«
Stirnrunzelnd musterte Perry den Jungen. »Wann hat er das gesagt?«
»Äh … an dem Tag, nachdem du weg warst.«
Angestrengt unterdrückte Perry einen Wutanfall, damit sein Neffe nichts davon mitbekam. Wie konnte Vale ihm das Jagen verbieten? Talon liebte es doch. »Wir können dafür sorgen, dass wir wieder zurück sind, bevor er davon überhaupt etwas merkt.«
»Onkel Perry …«
Perry folgte Talons Blick und warf einen raschen Blick über die Schulter, zum Tisch im hinteren Bereich des Raums. »Was denn, du glaubst, die Ohren haben mich gehört?«, fragte er unschuldig, obwohl er es längst wusste. Und dann flüsterte er ein paar Bemerkungen in Richtung der Horcher – Anregungen, was sie mit sich anstellen konnten, anstatt die Unterhaltungen anderer Leute zu belauschen. Seine Bemerkungen handelten ihm prompt ein paar frostige Blicke ein.
»Schau dir das an, Talon: Du hattest recht. Sie können mich tatsächlich hören. Hätte ich wissen müssen. Ich kann Wylan von hier aus riechen. Meinst du, dieser Gestank kommt aus seinem Mund?«
Talon grinste. Er hatte ein paar Milchzähne verloren, und sein Lächeln erinnerte an einen bunten Ziermaiskolben. »Es riecht so, als käme es eher von weiter südlich.«
Perry lehnte sich zurück und lachte.
»Halt die Klappe, Peregrine«, rief Wylan. »Du hast gehört, was der Kleine gesagt hat. Er darf nicht weg. Willst du, dass Vale erfährt, was du vorhast?«
»Liegt ganz bei dir, Wylan. Du kannst es Vale erzählen oder auch lassen. Mit wem möchtest du dich lieber anlegen?«, erwiderte Perry. Doch er kannte die Antwort bereits. Vales Strafe bedeutete halbierte Rationen, Latrinendienst und zusätzliche Nachtwachen im Winter. Alles nicht sehr erfreulich, aber für einen eitlen Fatzke wie Wylan immer noch besser als die Tracht Prügel, die Perry ihm verabreichen konnte. Als sämtliche Horcher im nächsten Moment aufstanden und in seine Richtung marschierten, sprang Perry daher derart heftig auf, dass er fast die Bank umwarf, und stellte sich in den Gang zwischen den Tischen, Talon in sicherem Abstand hinter sich.
Wylan, der den anderen vorausging, blieb wenige Schritte vor ihm stehen und knurrte: »Peregrine, du launischer Idiot, draußen geht irgendwas vor!«
Perry benötigte einen Moment, bis er begriff: Die Horcher hatten vor dem Haus irgendetwas gehört und wollten schlichtweg ins Freie. Er trat beiseite und ließ sie passieren, dicht gefolgt von den anderen Dorfbewohnern, die sich noch im Kochhaus aufhielten. Dann kehrte er zu Talon zurück. Die Schüssel seines Neffen war umgekippt. Die Hafergrütze tropfte durch ein Astloch im Tisch. »Ich dachte …«, setzte er an und starrte missmutig auf die abgenutzten Bretter. »Du weißt schon, was ich
Weitere Kostenlose Bücher