Gebissen
sich, wie ein frisch ausgehobenes Loch.
Hab ein schönes Leben.
Wut, Einsamkeit, Glück, Hass, Stolz und zahlreiche andere Gefühle wirbelten in ihm durcheinander. Sie vermengten sich, ließen ihn zugleich lachen und den Kopf verzweifelt gegen die Wand schlagen. Zu viel von allem tobte in ihm, irgendetwas in ihm knurrte und schrie, er habe versagt, doch zugleich hielt er sich für den größten Aufreißer der Welt und den einsamsten Mann aller Zeiten. Und wenn er an die Nacht zurückdachte, war die Erregung sofort wieder da. Keine Empfindung hielt sich länger als einen Augenblick, ein Mensch konnte doch nicht so Unterschiedliches zugleich fühlen.
Wurde er vielleicht wahnsinnig? Schizophren?
Der Kaffee war längst durchgelaufen, und Alex setzte sich mit einer neuen Tasse an den Tisch. Mühsam versuchte er, das Chaos in seinem Inneren zu beruhigen, an die Leine zu nehmen. Sein Blick schweifte über die weiß gestrichenen Wände, die festgepinnten Fotos von verfallenen Fabriken im A2-Format und die billige Reproduktion von Füßlis Nachtmahr bis hin zur nachtblauen Plastikwanduhr über der Tür, die seit zwei Jahren auf kurz nach halb sieben stand, weil er die leere Batterie nie austauschte. Wozu auch, es war Veronikas Uhr, die sie vergessen hatte, er besaß genug andere Uhren, nach denen er sich richten konnte.
Weiter wanderte der Blick über die zahlreichen Fotos, die er an den dunklen Eichenschrank, einen stolzen Flohmarktfund, gepinnt hatte. Manche aus Zeitungen oder Magazinen ausgeschnitten, doch die meisten selbst geschossen und schwarz-weiß. Bilder aus dem verschneiten Niederbachingen im Winter, seine lachenden Eltern, die seine kleine Schwester Moni in die Mitte genommen hatten, an Weihnachten vor fünf oder sechs Jahren. Im Sommer hatte er das Dorf seit Jahren nicht gesehen. Posierende und lachende Exfreundinnen, ehemalige Freunde und auch Haustiere seiner Verflossenen. Aber kein Bild von Danielle. Warum hatte er sie gestern nicht einfach mit dem Handy fotografiert? Er hätte sich doch denken können, dass sie verschwinden würde.
»Zum Frühstück hätte sie doch bleiben können«, brummte er und fluchte, weil er wie seine herummäkelnde Mutter klang. Draußen schepperte es, irgendwer warf Flaschen in die Glastonne, eine nach der anderen, ganz langsam, als würde er sich von jeder separat verabschieden.
»Idiot.«
Sie hatten kein Kondom benutzt, fiel ihm plötzlich ein. Sonst dachte er immer daran. Warum nicht gestern? So geil oder betrunken durfte man nicht sein!
Mit einem Mal hatte er das Gefühl, als jucke sein Sack, als kribble seine Vorhaut, aber das war natürlich Unsinn. Das war der Schreck, nichts weiter. Trotzdem würde er zur Sicherheit einen Bluttest machen. Aber nicht heute, heute war es zu früh, um eine HlV-Infektion zu erkennen. Lautlos fluchte er vor sich hin und beruhigte sich dann wieder und wieder selbst: Sie würde schon kein Aids haben. Alles eine Frage der Stochastik, und die Wahrscheinlichkeit war minimal. Und selbst wenn – das bedeutete nicht automatisch, dass er sich angesteckt hatte. Warum hatte er nur das Kondom vergessen? In der Nachttischschublade lagen doch genug.
»Idiot«, motzte er wieder, und das galt diesmal ihm selbst. Wenn sie wirklich so versessen auf Abwechslung war, dann hatte sie vielleicht doch irgendwas. Aber das wollte er nicht glauben, daran wollte er nicht denken. Die Wut war wieder da: Er hätte sie zähmen, sich nicht reiten lassen sollen.
»Meinst du Trottel, dann wäre die Chance kleiner gewesen, sich anzustecken?«, murmelte er. Tief atmete er den Kaffeeduft ein und dachte an Zigaretten, obwohl er nie vor dem Frühstück rauchte. Doch jetzt wäre Rauchen genau das Richtige, irgendwas, das ihn von innen auffraß, zumindest ein wenig. Vielleicht sollte er gleich ein Stamperl Essigessenz trinken?
Doch er blieb einfach sitzen, starrte weiter die Fotos an und zupfte in Gedanken versunken am Schorf seiner Narbe herum. Er machte sich mehr Gedanken um Danielle als um irgendwelche Krankheiten oder irgendwas sonst. Vielleicht war sie ja verheiratet, mit einem älteren Manager, der viel auf Geschäftsreisen war, und dann zog sie durch Clubs, in die er freiwillig keinen Fuß setzen würde, und ging fremd. Mit jemandem, der in ganz anderen Kreisen verkehrte.
Doch warum sollte sie das tun?
Weil sie nymphoman war oder so.
Oder sie hatte ein völlig normales Bedürfnis nach Sex, und ihr Mann war schlicht impotent? Ein alter reicher Sack, der in der
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