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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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verdeckte die Nasenlöcher zur Hälfte, und er hatte Schnupfen. Die Nase war zu, mit jedem Niesen tropfte Rotz auf den Knebel, Rotz, den er nicht wegwischen konnte, nicht einmal an der Schulter abwischen, nur mühsam hochziehen oder laufen lassen. Sein Brustkasten wurde von dumpfem Schmerz beherrscht, eine Rippe stach bei jedem Atemzug, als wäre sie gebrochen.
    Plitsch.
    Was wollten sie von ihm? Diese Ungewissheit machte ihn fertig. Würden sie ihn hier einfach verrecken lassen, ersticken lassen? Panik packte ihn, er japste nach Luft, und die gebrochene Rippe stach ihm nur noch heftiger in die Seite.
    Er wusste nicht, wie lange er schon hier war, ein oder zwei Stunden vielleicht. Es spielte keine Rolle, niemand würde ihn vermissen, zumindest nicht genug, um die Polizei einzuschalten. Niemand würde ihm helfen, so wie ihm das Pärchen nicht geholfen hatte.
    Es roch nach Moder und frisch aufgebrochener Mauer, die Luft war feucht und doch staubig. Langsam fielen die Tropfen zu Boden. Mit jedem Plitsch wuchs Georgs Angst.
    Was konnten sie von ihm wollen?
    Er besaß doch nichts von Wert, und er hatte niemandem etwas getan. Zumindest nichts Schlimmes. Nur mal hier und da eine Kleinigkeit geklaut, doch nie mehr, als er brauchte. Dafür hetzte man einem doch keine Schläger auf den Hals.
    Plitsch.
    Was hatte er nur getan? Weiter und weiter zermarterte er sich das Gehirn, aber ihm wollte nichts einfallen. Wollte irgendwer ein Exempel statuieren? Waren das kranke Spinner, die einen dieser Snuff-Filme drehen wollten? Panisch zerrte er an seinen Fesseln, aber er kam nicht frei, er keuchte nur noch mehr, und die Rippe stach und stach in seine Brust. Er wollte nicht sterben!
    Plitsch.
    Nein! Er würde nicht sterben. Es gab keine Snuff-Filme. Irgendwann würden sie ihn laufen lassen. Ja, sie würden ihn laufen lassen, sagte er sich immer wieder, während er auf dem bitteren Knebel herumkaute.
    Endlich, nach scheinbaren Ewigkeiten, näherten sich gedämpfte Schritte und Murmeln, eine Tür wurde geöffnet, nur wenige Meter vor ihm. Dabei quietschte die Klinke, und irgendetwas kratzte über den Boden, doch es blieb finster, und auch die Luft wurde nicht frischer. Die Schritte waren nun deutlich zu vernehmen und kamen entschlossen auf ihn zu. Georg konnte nichts sehen, nur Schemen erahnen.
    »Ein Obdachloser! Muss das sein?«, sagte eine tiefe Stimme. Sie klang angewidert und tief enttäuscht.
    »Hat sich eben so ergeben«, entgegnete eine höhere Männerstimme, die Georg als die eines seiner Entführer erkannte.
    Hat sich so ergeben? Was bedeutete das? Es klang so beiläufig, als hätte er die falsche Sorte Eis gekauft. Überhaupt klangen die beiden, als könnten sie sehen. Wieso konnten sie das und Georg nicht? Was war mit seinen Augen los? Wurde er blind?
    »Ihr wisst aber, dass ich das nicht mag«, motzte die tiefe Stimme.
    »Ja, wissen wir.« Der andere klang genervt. »Aber es fällt einfach weniger auf als das Verschwinden richtiger Bürger. Wir müssen aufpassen.«
    Verschwinden. Kalte Angst umklammerte nun Georgs Brustkasten. Ging es etwa doch um Snuff-Filme? Er biss in den Knebel, Tränen rannen seine Wangen hinab, und er versuchte mit den Fingern seine Fesseln zu lösen, zum hundertsten Mal. Doch die Finger waren taub und gefühllos.
    »Aufpassen?« Die tiefe Stimme spuckte das Wort richtiggehend aus. Sie klang sauer. »Wir? Ist dir eigentlich klar, wer wir sind?«
    »Mir ist klar, wer wir bald sein werden. Dann muss auch niemand mehr aufpassen. Aber noch ...«
    »Nein, nichts da! Ich trinke keine Obdachlosen, keine ungewaschenen, stinkenden Bastarde. Junge Frauen machen mich an. Ich will junge schöne Frauen.«
    Trinken? Georg verstand nichts, vielleicht wollte er auch nur nicht. Sein Magen krampfte sich zusammen, die Stimmen klangen nicht nach Gnade, sondern nach kaltem Irrsinn. Immer mehr Tränen liefen ihm die Wangen hinab, panisch zerrte er an seinen Fesseln. Wieder und wieder, als müssten sie jetzt endlich nachgeben, obwohl sie es stundenlang nicht getan hatten. Aber das spielte keine Rolle. Nichts spielte jetzt eine Rolle außer der blinden Angst. Er zerrte und brüllte gegen den Knebel an, doch der gedämpfte Schrei, nicht mehr als ein gurgelndes Röcheln, brachte die beiden Stimmen nur zum Lachen, kalt und freudlos.
    »Schau ihn dir doch an«, sagte die tiefe Stimme voller Abscheu. »Was für ein erbärmlicher Anblick. Da vergeht einem doch der Appetit, bei dieser verheulten, verstunkenen Rotznase. Ich mag es,

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