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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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wenn sich eine schöne Frau in ihren Fesseln windet. Das hier ist einfach nur abstoßend. Von dem trinke ich nicht. Nein.«
    »Bitte, dann eben nicht. Beschwer’ dich aber nicht, wenn du nachher Durst hast.«
    »Ich beschwere mich nicht, ich fang’ mir einfach selber was.«
    Was um alles in der Welt waren das für Wahnsinnige?
    Georg riss mit aller Gewalt an seinen Fesseln, die nackte Angst setzte noch einmal allerletzte Kraftreserven frei. Trockene Haut schürfte auf, die Adern an den Handgelenken pochten, als wollten sie jeden Moment platzen. Da packte ihn eine kräftige Hand an den Haaren und hielt ihn unerbittlich fest. Eine kalte, furchtbar starke Hand.
    Aus Georgs dumpfen Schreien wurde ein flehendes Quieken, er brüllte nicht mehr Nein, sondern vor Schmerz. Und: Bitte! Immer wieder Bitte, Bitte, Bitte. Er glaubte nicht, dass diese Stimmen Gnade kannten, aber er wusste, dass er sich selbst nicht mehr helfen konnte. Wider besseres Wissen flehte er um ihr Mitleid, flehte nach einem Gott, der irgendwo dort oben sein sollte. Doch es half nichts, auch sein Flehen drang nur als unverständliches Röcheln durch den Knebel.
    Etwas traf ihn am Hals, etwas Kaltes, Schweres, Scharfes - ein Messer? -, und ein Brennen zog sich unter seinem Kinn entlang, ein scharfes Brennen, das den Schmerz in seinem Brustkorb übertönte. Alle Worte wurden ihm zerschnitten, und er spürte, wie etwas aus ihm heraussprudelte und warm über die Brust hinablief, von dem dünnen Hemd aufgesogen wurde oder zu Boden tropfte.
    »Hey. Weint er?«
    »Ja.«
    »Sehr gut.«
    Aus Georgs Kehle drang nur noch ein Gurgeln und warmes Blut, er wusste, er würde sterben, und doch hörte er nicht auf, gegen die Fesseln anzukämpfen. Er wollte um sich schlagen, nur um sich schlagen, doch er brachte nicht mehr zustande als ein harmloses Zappeln.
    Er spürte, wie sich volle Lippen gierig auf seine Halswunde pressten, wie jemand an ihm sog und schluckte.
    »Das ist widerlich«, ätzte die tiefe Stimme. »Du hast nicht mal den dreckigen Hals abgewischt.«
    Lautlos wünschte Georg der Stimme den schlimmsten aller Tode. Er flehte nicht mehr um Gnade oder Hilfe, er kämpfte nicht mehr, er wünschte sich nur noch, dass irgendwer ihn irgendwann rächen würde.
    Dann lösten sich die Lippen von seinem Hals, und sein Kopf wurde nach unten gedrückt, zu seinen Knien, und hin und her geschüttelt.
    »Halt doch die Klappe.« Die hohe Stimme sprach mit ihrem Kameraden, nicht mit Georg.
    Blut spritzte auf den Boden.
    Dann wurde sein Kopf wieder hochgerissen, und die durstigen Lippen legten sich erneut auf seinen Hals und tranken. Georg wurde schwächer und schwächer, er zerrte nun nicht mehr an seinen Fesseln, sondern zuckte nur, von Weinkrämpfen geschüttelt.
    »Hey, jetzt ist gut«, sagte die tiefe Stimme.
    Georg nahm sie nur noch gedämpft wahr, als wären seine Ohren mit Wasser oder Watte verstopft.
    »Trink nicht alles. Lass noch was auf den Boden fließen.«
    Nach einem letzten tiefen Zug löste sich der Mund wieder und sagte: »Schon gut. Hilf mir mal, den Burschen umzudrehen. Damit es richtig läuft.«
    »Ich will den nicht trinken, hab ich gesagt, und ich will ihn auch nicht anfassen.«
    »Verwöhnter Rotzlöffel.«
    Das waren die letzten Worte, die Georg bewusst vernahm. Dann wurden seine Füße von starken Armen in die Luft gerissen, sein Kopf knallte zu Boden. Es knirschte, stechender Schmerz fuhr ihm quer durch den Schädel. Er spürte noch, wie ihm das Blut über das Kinn ins Gesicht lief, über die Wangen und Ohren ins Haar, dann dämmerte er weg. Keine Erinnerungen zogen an ihm vorbei, da war nur Schmerz, bis ihn die endgültige Schwärze umfing ...

8
    Wie immer war die Bergmannstraße in Kreuzberg überfüllt; Nachtschwärmer tranken ihr Einstimmungsbier, bevor sie weiterzogen in Clubs, junge Berlinbesucher trafen feiernd auf ältere Studenten und hippe Mittdreißiger. Café reihte sich an Kneipe an Gasthaus, dazwischen fanden sich ein paar jener - um diese Uhrzeit geschlossenen - Geschäfte, die man in einem Herzstück des alternativen Lebens erwarten konnte, wie der Bergmann-Kiez in zahlreichen Reiseführern angepriesen wurde: vom Klamottenladen mit Lack und Leder über gehobenen Trödel bis hin zu einer gemütlichen Krimibuchhandlung mit toten Pinguinen im Schaufenster und einem T-Shirt mit Mord-ist-mein-Beruf- Aufdruck. Das alternative Berlin für jene Alternative, die inzwischen feste Jobs und ein gutes regelmäßiges Einkommen hatten. Öko,

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