Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
arbeitsunfähigen Erwachsenen aus Schaulen wegzuschaffen. Die Kinder würden in das Stammlager kommen und dort in Kinderheimen untergebracht, versprach er. Niemand glaubte ihm. Die Eltern standen hilflos auf dem Platz, von dem die Lastwagen abfuhren, und flehten die SS-Männer an, ihre Kinder begleiten zu dürfen. Mehr als 500 Kinder sind an diesem Tag fortgebracht und danach vermutlich in Auschwitz ermordet worden. Für seine Verbrechen musste sich Forster, wie die Historikerin Edith Raim herausfand, nie verantworten. 1955 starb er bei einem Fahrradunfall in Hanau, wo er nach dem Krieg unter falschem Namen untergetaucht war.
Schon vor der Ankunft Miriams und Evas hatte Eta Goz gesehen, wie die SS mit den Schwangeren umging. Im Oktober 1944 sind aus Kaufering I etwa 115 Häftlinge, Frauen und Männer, von dem SS-Arzt Max Blancke als arbeitsunfähig selektiert und nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Zwei der Frauen, Riwka Baron und Riwka Sirewitsch, kannte Eta Goz gut, sie kamen wie sie aus Litauen. Beide waren schwanger. Auch eine geistig verwirrte Frau, die damals mit ihr in der OT-Zimmerei gearbeitet hatte, verschwand an diesem Tag. «Als wir von der Arbeit zurückkamen, waren sie weg.» Leben oder Tod, das hängt auch in Kaufering I von der Willkür der SS ab. Das erfuhr auch die 13-jährige Magda Fischer aus Nagykálló, die in der Reihe der Häftlinge stand und auf die Selektion wartete. Der Häftlingsarzt Ernö Vadász aus ihrem Heimatort erkannte sie und beschwor eine SS-Aufseherin, das Mädchen gehen zu lassen. «Sie ist so alt wie meine Tochter», redete er auf die SS-Frau ein, die zuerst zögerte und dann doch das Kind aus der Reihe der Wartenden zog.
Eva und Miriam ahnen in den ersten Tagen noch nicht, wie brutal es in dem Lager zugeht. Ende November, kurz bevor die SS sie nach Kaufering I verlegen ließ, mussten alle Gefangenen am Appellplatz antreten und zusehen, wie sechs Häftlinge, fünf aus Ungarn und einer aus Litauen, erhängt wurden. Die Männer, darunter ein Vater und sein 17-jähriger Sohn, hatten sich von ihren Decken einen Streifen Stoff abgerissen. Damit wollten sie ihre geschundenen Füße wenigstens ein bisschen vor der Kälte und dem Schnee schützen. Das galt nach der SS-Disziplinarordnung als Sabotage. Ein Häftlingskommando musste für die Hinrichtung, zu der aus dem Stammlager Dachau der Lagerkommandant Martin Gottfried Weiss kam, einen Galgen zimmern. Die Leichen der Männer wurden 24 Stunden lang am Galgen hängen gelassen. Die ahnungslose Mutter des 17-jährigen Jungen erfuhr erst nach der Hinrichtung von dem Tod ihres Kindes und ihres Mannes. Der deutsche Kapo in der SS-Küche, in dessen Kommando sie gearbeitet hatte, erlaubte ihr, drinnen zu bleiben. Von den US-amerikanischen Militärrichtern während des Dachauer Hauptprozesses zu diesem Mord befragt, wird der SS-Hauptscharführer Johann Viktor Kirsch nur sagen: «Wie ich hörte, hatten sie wahrscheinlich schlechte Schuhe.» Der damals verantwortliche KZ-Lagerführer von Kaufering I, Alfred Kramer, verfasste einen Bericht, auf den sich die Ankläger des Militärtribunals stützen. Darin zählt Kramer die Strafen und Torturen für die jüdischen Häftlinge in Kaufering I auf: 1. Schlagen mit der Peitsche, Fäusten und Stöcken, was, wie er vermute, in einigen Fällen zum Tod geführt habe. 2. Einzelhaft in Stehzellen für die Dauer von acht bis zehn Stunden in der Nacht, in einigen Fällen auch zwei oder drei Nächte lang. 3. Unterernährung, Krankheiten und harte Arbeit, die in einigen Fällen zum Tod geführt haben. Der Bericht, verfasst in bürokratisch nüchternem Stil, enthält auch eine emotionale Bemerkung des Verfassers: «Um ehrlich zu sein, ich mag die Juden nicht.»
Nach zwei Tagen Ungewissheit ergeht der Befehl, dass die sieben Schwangeren in eine kleine Holzbaracke umziehen sollen. Sie steht am Rande des Frauenlagers, gleich hinter dem Stacheldrahtzaun in der Nähe der SS-Holzbaracken. Es ist kalt drinnen, aber immerhin trocken. Als Schlafplatz haben die Frauen nur ein hartes Brett, das mit etwas Stroh bedeckt ist. Die ersten Nächte kann Eva überhaupt nicht schlafen. «Mein Bauch war schon ziemlich groß, und ich konnte auf der harten Unterlage keine Stellung finden, bei der mir mein Rücken nicht wehgetan hätte.» Sie wagt nicht, an die Zukunft zu denken. In Gedanken spricht sie oft mit Géza. Immer wieder ruft sie sich seine Worte in Erinnerung. «Halte durch!» Seine Stimme hört sie ganz
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