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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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Großstadt, also nach Verona, nach Rovereto oder Trient, wenn sie am Ostufer oder nach Brescia, wenn sie am Westufer wohnen. Mit sturer Ignoranz gegenüber den Nachbarn hat freilich auch das nicht das geringste zu tun. Und was die Fährverbindung angeht: Wo anders ließe sich die derart sinnvoll installieren als da, wo sie jetzt den See überquert, nämlich eben in dessen Mitte?
    Auch über Dauer und Häufigkeit der Fahrten kann man sich nicht wirklich beklagen: In beide Richtungen legt jeweils stündlich eines der Schiffe ab; zu saisonalen Stoßzeiten werden die Intervalle vermindert und damit die Transportquoten erhöht. Beklagenswert ist allein (aber auch das viel eher aus Sicht der Touristen als der Einheimischen), daß die Fähren bereits gegen acht Uhr abends ihre Dienste einstellen. Wer sich also so spät noch auf die Heimreise vom Gardasee begibt oder erst dann dort anzukommen gedenkt (beides kann zur Vermeidung von Autobahnstaus sehr sinnvoll sein!), sollte das einkalkulieren.
    Wohl wahr ist, um ein letztes Mal auf die These von den »verfeindeten Ufern« zurückzukommen, daß die an beiden Seeufern lebenden Menschen oft tatsächlich nicht sehr genau über das unterrichtet sind, was sich in anderen Uferorten zuträgt. Doch auch das hat mit einer »unsichtbar längs durch den See verlaufenden Grenze« nichts zu tun – schon weil es für die Orte am eigenen nicht weniger als für die am gegenüberliegenden Ufer gilt. Und wer genau hinhört, wird rasch feststellen, daß die Bewohner des West- wie die des Ostufers immer noch sehr viel mehr voneinander mitbekommen als ein durchschnittlicher mitteleuropäischer Städtebewohner von dem, was zwei Straßen oder auch nur zwei Häuser weiter so alles geschieht.
    Ganz genau Bescheid aber wissen die meisten der hier lebenden Leute über ihre eigenen Dörfer und Städtchen. Das gilt nicht bloß für den erweiterten Familientratsch, der bestens floriert, wie überall da, wo die Gemeinden noch überschaubar sind. Auch über das, was über ihren privaten Kreis hinauszugehen scheint, sind die Menschen hier meist hervorragend informiert – eben weil sie ein gutentwickeltes Gespür dafür haben, wie rasch fremde oder öffentliche Angelegenheiten zur eigenen Privatsache werden können.
    Auch in dieser Einstellung ist allerdings zunächst nichts für den Gardasee Spezifisches zu finden. Für ganz Italien gilt, daß die uns sehr vertraute Trennung zwischen privat und öffentlich hier allenfalls in Ansätzen existiert. Und nichts wäre oberflächlicher als die Italiener nur deswegen für unpolitische Menschen zu halten, weil sie zwar über ihre Regierungen höchst leidenschaftliche Debatten zu führen imstande sind, sich aber erstaunlicherweise weigern, die Konsequenzen aus den dort vorgetragenen Argumenten – und zwar auch aus den eigenen Argumenten – zu ziehen. Wäre sonst ein Mann wie Silvio Berlusconi, der als Politiker vollkommen offensichtlich einzig seine eigenen Interessen verfolgt und seine dabei zutage tretende kriminelle Energie kaum notdürftig kaschiert, nach seiner Abwahl zum zweitenmal an die Macht gekommen? Oder andersherum gefragt: Hätte dieser Berlusconi seine Landsleute derart leicht mit Hilfe der über seinen eigenen Medienkonzern verbreiteten Propagandasendungen und -artikel manipulieren können, wenn die wirklich politisch denken würden?
    Wer sich eine Zeitlang in Italien aufhält, merkt schnell, daß das mit der Politik hier anders funktioniert. Was den beständigen Kampf um Rom angeht, also um die Posten in der Zentralregierung wie im nationalen Parlament, sind die Italiener kluge Zyniker: Sie haben längst durchschaut, daß diese Auseinandersetzungen zwischen römischen Parteifunktionären an den realen Machtverhältnissen im Staat, also an der Dauerherrschaft des großen Geldes, nichts zu ändern vermögen. Deswegen aber nun gleich mürrische Politikverdrossenheit an den Tag zu legen, ist ihre Sache nicht; so etwas entspräche nicht ihrem Temperament. Also machen sie das Beste daraus und behandeln die große Politik wie ein fortwährendes großes Spiel, an dem sich alle aufgeregt beteiligen, ohne daß einer es wirklich ernst nähme.
    Der Spaß hört sich aber auf, sobald es um politische Entscheidungen auf regionaler oder gar auf lokaler Ebene geht, die sich meist ganz unmittelbar auf das Leben der Betroffenen auswirken. Da reagieren und agieren die Leute dann nicht nur mit heißem Herzen, sondern meist auch mit erstaunlich kühlem Kopf. Auch die

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