Gebrauchsanweisung für den Gardasee
italienische Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, gründet sich bei näherem Hinsehen weniger auf eine – auch längst zum Folkloreklischee geronnene – augenzwinkernde »Leben-und-lebenlassen«-Mentalität à la Don Camillo und Peppone als auf den pragmatischen Sachverstand der Beteiligten. Und wo der es erfordert, funktionieren auch Kommunikation und Kooperation zwischen den Anrainergemeinden des Gardasees (ganz gleich, an welchem Ufer die liegen) in der Regel hervorragend. Das erklärt auch eine Leistung wie die zügige Planung und Installation der die gesamte, meist arg unwegsame Uferlänge des Sees – das sind fast 160 Kilometer – umfassenden Ringkanalisation, die dafür sorgt, daß der zu Beginn der siebziger Jahre als hoffnungslos verschmutzt geltende See heute bis auf ganz wenige Stellen nahezu Trinkwasserqualität aufweist.
Überhaupt ist diese Bereitschaft zum lokal- wie regionalpolitischen Engagement hier noch lebendiger als in anderen Teilen Italiens. In dieser Hinsicht kann man tatsächlich von einem Gardasee-Spezifikum sprechen. Zu tun hat das gewiß auch etwas mit dem Tourismus: Wenn der als Erwerbsquelle nicht versiegen soll, sind die Ufergemeinden dazu gezwungen, einander entgegenstehende Ziele wie den weiteren Ausbau der touristischen Infrastruktur auf der einen und die Erhaltung von Natur, Landschaft und attraktiver Bausubstanz immer wieder in Balance zueinander zu bringen.
Daß indes nicht nur auf diesem Gebiet die Beteiligung der einzelnen Bürger hier noch stärker spürbar ist als an den anderen großen Seen Oberitaliens, erklärt sich aus der verwickelten Geschichte wie aus den besonderen geographischen Bedingungen des Gardasees. Die (noch dazu ständig wechselnde) Aufteilung des Seegebiets auf unterschiedliche Staaten und Herrschaftsbereiche wie die hohe Unzugänglichkeit weiter Uferstrecken haben nicht nur die Herausbildung größerer wirtschaftlicher Einheiten verhindert, sondern auch die am Comer See wie am Lago Maggiore bis heute folgenreiche Kolonisation der Seeufer durch den Adel und das Großbürgertum der umliegenden Städte. Es gab und gibt vor allem an der nördlichen Seehälfte ja nur ganz wenige Stellen, an denen es sich lohnte, weiträumige Grundstücke zu erwerben, um dort prächtige private Parks anzulegen und hochherrschaftliche Villen zu errichten.
So ist das Seegebiet heute weitgehend in der Hand der Ufergemeinden beziehungsweise ihrer Einwohner geblieben, und seine touristische wie seine sonstige kommerzielle Nutzung liegt nach wie vor fast ausschließlich in der Hand von Tausenden kleiner bis winziger mittelständischer Unternehmen und Familienbetriebe. Noch nicht einmal einer der großen internationalen Hotelkonzerne hat es bislang geschafft, hier eine Filiale zu errichten. Das ist allerdings bemerkenswert.
So wie der ganz große Reichtum am Gardasee fehlt, wird man hier nur ganz selten auch auf wirkliche Armut treffen. Zum Sozialparadies muß man die Region deswegen beileibe nicht hochstilisieren. Dennoch führt das überall verbreitete »Der-See-gehört-uns«-Gefühl nicht nur dazu, daß sich die hier lebenden Leute bemerkenswert aktiv ums Gemeinwohl, und das heißt auch umeinander kümmern; es sorgt quasi nebenbei auch dafür, daß die Dinge hier meist ein humanes Maß behalten. Und davon wiederum profitieren auch wir Besucher, selbst dann, wenn wir uns hier nicht dauerhaft niederlassen – so sehr wir uns eben das manchmal wünschen mögen. Diese ganz besondere See-Sehnsucht allerdings erfordert ein eigenes Kapitel.
8. Wimmers Paradies
oder An allem ist Rübchen schuld!
Nachdem wir klargestellt haben, daß man der Region um den Gardasee und deren Bewohnern alles Mögliche nachsagen kann, nur nicht, daß sie von deutschen Einflüssen geprägt seien, können wir es ruhig zugeben: Der See wirkt nicht nur während der Sommerferien ganz so, als sei er fest in deutscher Hand, sondern man kann sich hier – zumindest an allen Wochenenden vom frühen Frühjahr bis in den späten Herbst – auch sonst kaum des Eindrucks erwehren, in eine deutsche Kolonie geraten zu sein.
In allererster Linie liegt das natürlich an den deutschen Touristen. Schon als die in den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts den Gardasee scharenweise als das Stück Italien entdeckten, für das die damals noch eher knappe Urlaubskasse ausreichte, konnten sie auf eine Reihe mehr oder weniger erlauchter Vorgänger zurückblicken. Womit wir ausnahmsweise nicht auf Goethe
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