Gebrauchsanweisung für den Gardasee
schönsten Teilstrecke der Gardesana eintauchen, denken wir an eine andere Bemerkung Wolfram Siebecks, die aus dem Jahr 2001 stammt, sich aber schon bald als prophetisch erweisen dürfte: »Es kann sein, daß das Westufer des Sees wieder chic wird bei den Deutschen … Denn dieses Ufer ist schöner als die vulgäre Côte d’Azur, vornehmer durch die antiken Villen und dramatischer durch die stolzen Zypressen, diese Wahrzeichen von Böcklins Toteninsel.«
Wer uns bis hierher um den Gardasee gefolgt ist oder folgen wird, wird finden, daß das, mit ein paar Einschränkungen und Varianten, zumindest auch für große Teile des Ostufers wie für die Höhen und Hochebenen unmittelbar über dem Seeufer gilt. Nicht daß der Massentourismus hier schon ausgestorben wäre, beileibe nicht. Aber je mehr man sich, geleitet von seinem eigenen Forscherdrang, getrost auch vom eigenen Hang zum Schlendrian wie zum Genießertum, auf den See, seine Landschaft und seine Menschen einläßt, desto leichter fällt es einem, mit jenem Massentourismus auch alle Vorurteile über den Gardasee zu vergessen. Apropos vergessen: Vergessen kann man auch das Gerücht, am Gardasee würden immer noch massenweise Zitronen angebaut. Am Klima liegt es nicht: Die gelben Südfrüchte gedeihen hier nach wie vor prächtig. Umsatzmäßig aber konnten die zum Teil noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts tätigen Anbaubetriebe hier längst nicht mehr mit dem Weltmarkt mithalten. Zurückgeblieben, als eine Art agrarischer Naturdenkmäler, sind eine Reihe von entlang der Gardesana verteilten limonaie: So hießen die auf Hügelterrassen aus Holz und Glas errichteten und mit Schilf und Gras abgedeckten Zitronengewächshäuser. Drei dieser Anlagen sind, allerdings zu vorwiegend musealen Zwecken, in letzter Zeit wieder in Betrieb genommen worden. Eine davon liegt ganz nahe an unserer restlichen Wegstrecke, nämlich über dem Hotel La Pergola in Limone, dessen schier endlose Ortsdurchfahrt die allerletzte Unterbrechung unseres Rückwegs nach Riva nahelegt. Das einst weltverlassene Fischerdorf Limone, das bis zum Bau der ersten Gardesana -Teilstrecke von Riva aus nur per Schiff erreichbar war, lebt heute nahezu ausschließlich im Zeichen des Fremdenverkehrs. Auch Zitronen werden hier nur noch als Souvenirs verkauft, in allen erdenklichen Spiel- wie Abarten. Und das, obwohl der Ortsname Limone, allem romantischen Anschein zum Trotz, weder mit Zitronen noch mit Limonen das Geringste zu tun hat: Er ist von limes abgeleitet, dem lateinischen Wort für Grenze.
Bleibt uns, während wir nun vor allem durch Tunnels und Galerien nach Riva fahren, nur noch eine Frage zu klären: Wo liegt eigentlich das Ende des Gardasees? Hier in Riva? Doch erst in Torbole? Oder gar überhaupt nicht im Norden, sondern im Süden? In Peschiera? In Desenzano?
Wir gestehen: Eine zuverlässige Antwort auf unsere Frage ist weit und breit nicht in Sicht. Überall nur klares Wasser und malerische Berge, freundliche Fischerdörfer und quirlige Hafenstädte, prächtige Burgen und stille Klöster, neueröffnete Radwanderwege und aufgelassene Zitronenhaine, verschwiegene Trattorien und formidable Feinschmeckerrestaurants. Doch wir schwören: Solange die Sache mit dem Ende des Gardasees nicht definitiv geklärt ist, werden wir immer wieder hierher zurückkehren.
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