Gebrauchsanweisung für den Gardasee
anspielen. Zwar, wir haben das ja ausführlich beschrieben, verlieh der kurze Aufenthalt des nach dem jähen Absturz vieler deutscher Ideale und Idole womöglich noch ungebrochener als heute verehrten Geistesheros am östlichen Seeufer der Tradition des Gardasees als deutschem Urlaubsziel schon höhere Weihen, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Doch von Goethes italienischer Reise an gerechnet – sie begann im Jahr 1786 – sollte noch einmal fast ein Jahrhundert vergehen, bis sich hier die ersten Hotels und Landvillen mit den wirklichen Pionieren des Seetourismus zu füllen begannen.
Von einem deutschen oder genauer gesagt – Nord- und Ostufer des Sees gehörten ja damals noch zur Habsburger Monarchie – von einem deutsch-österreichischen Massensturm konnte allerdings auch da noch nicht die Rede sein. Schon eine Reise von Wien ins Salzkammergut oder von Berlin oder Essen nach Bayern galt ja bis lange ins 20. Jahrhundert hinein als ein nur für wenige Begüterte erschwinglicher Luxus. Doch noch in einem anderen Punkt unterschieden sich die damaligen deutschen Gardasee-Touristen erheblich von ihren heutigen Nachfolgern: Sie kamen fast ausnahmslos nur im Winter hierher: Die da in Deutschland herrschende Kälte mochten sie so wenig aushalten wie umgekehrt die Hitze des oberitalienischen Sommers.
Immerhin, der Ruf des bis dahin – trotz Goethe! – im deutschen Sprachraum so gut wie unbekannten Gardasees begann sich nun, im ausgehenden 19. Jahrhundert, allmählich zu verbreiten. Wie heute auch trugen schon damals vor allem die Medien dafür Sorge, daß auch die vom Glück weniger begünstigten Daheimgebliebenen erfuhren, wo die besseren Kreise Ferien machten. Medien, das hieß zu dieser Zeit natürlich: Gedruckte Medien, also Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch schon illustrierte Blätter wie »Die Gartenlaube« oder, später, die »Berliner Illustrirte«. Journalisten im engeren Sinn des Wortes gab es damals aber noch kaum; nicht nur die Bücher, sondern auch die Journale wurden von Schriftstellern oder bildenden Künstlern verfaßt (und gemalt oder gezeichnet) – von jenen also, die den Adels- und Großbürgerkreisen als eine Art lockerer Hofstaat in deren Feriendomizile folgten.
So sind es, unter anderen, Autoren wie Friedrich Nietzsche, Hugo von Hofmannsthal oder Thomas Mann gewesen, die als frühe Touristen das positive Image des Gardasees begründen halfen – und auf diese Weise für den Zustrom weiterer Urlauber sorgten. »Es war«, notierte damals der deutsche Literaturnobelpreisträger Paul Heyse, »in der Tat eine Szenerie von so überschwenglichem Glanz des Lichtes und der Farben, der Monte Baldo drüben ruhte so feierlich über dem fast unwahrscheinlich purpurblauen Seespiegel, den die Ora noch nicht kräuselte, die Wellchen, die am Strande verrauchten, blitzten wie flüssiges Gold in den ersten Morgenstrahlen, und ein Traum schien die silbernen Wipfel der Olivenhalde zu wiegen, da sonst kein Lüftchen zu spüren war.«
So viel Idyllenzauber bewegte manche Schöngeister bereits Ende des 19. Jahrhunderts dazu, sich hier dauerhaft niederzulassen. Es gab selbst Versuche, hier geistig-künstlerische Gemeinschaften zu gründen, ähnlich wie die, die zur gleichen Zeit auf dem Monte Verità beim Lago Maggiore entstand. So gründete der deutsche Schriftsteller Otto Erich Hartleben, ein enger Freund Rudolf Steiners, in seiner in Salò gelegenen Villa Halkyone 1902 seine »Halkyonische Akademie für unangewandte Wissenschaften«. Große Dauer war dem Unternehmen allerdings nicht beschieden, leider nicht – zumindest das aus ganzen zwei Sätzen bestehende »Grundgesetz« jener Akademie verrät nämlich nicht nur Idealismus, sondern auch ein nicht nur fürs damals Wilhelminische Deutschland bemerkenswertes Maß von anti-vereinsmeierischem Humor: »§ 1 Die Zugehörigkeit zur Halkyonischen Akademie bringt weder Pflichten noch Rechte mit sich. – § 2 Alles Übrige regelt sich im Geiste halkyonischer Gemeinschaft.«
Viel Aufhebens macht heute keiner mehr von der Villa Halkyone, auch nicht die Reisehandbücher. Trotzdem lohnt es sich immer noch, das um die Mitte des 16. Jahrhunderts, also noch zur Renaissancezeit erbaute Haus, das heute Villa Alcione heißt, zu besichtigen. Es steht an der Uferpromenade von Salò, an der auch sonst mit ansehnlichen Villen bestückten via Cure del Lino (Hausnummer 26). Und man braucht nur wenig Phantasie, um den über dem Portal stehenden Spruch als
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