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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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Tridentiner, wie die übrigen See-Anrainer, mittlerweile völlig ungebrochen als Italiener fühlen. Eben ihre gefestigte innere Distanz ermöglicht es ihnen nun auch, Österreicher und Deutsche – als Touristen, als Inhaber von Zweitwohnsitzen oder gar als sich ganz hier Ansiedelnde – ebenso gastfreundlich aufzunehmen wie ihre italienischen Landsleute oder wie Kubaner und Argentinier.
    Das heißt aber auch: Die Distanz bleibt. Selbst wenn überall am See auch Deutsch gesprochen wird: Es wird überwiegend nur als saisonale Arbeitssprache gesprochen, aus deren Gebrauch man – deutlich anders als in weiten Teilen Südtirols – keinesfalls auf eine auch nur behauptete Bereitschaft zur im weitesten Sinne germanischen oder gar antiitalienischen Solidarität schließen sollte. Und wenn bei uns auch noch so salopp vom Gardasee als südlichstem Vorort Münchens oder gar als (nach Mallorca) neunzehntem Bundesland geredet wird, sollte man sich als deutscher Gast strikt hüten, falsche Schlüsse aus solchen Sätzen zu ziehen – sie haben mit der Mentalität der hier lebenden Menschen nicht das geringste zu tun.
    Übrigens macht zumindest für ideologisch sensible Zeitgenossen gerade das einen Aufenthalt am Gardasee in manchen Punkten sehr viel angenehmer als einen in Südtirol. Nicht nur die Tridentiner (denen die regionale Autonomie ja gesetzlich garantiert ist), sondern auch die Bewohner der venetischen und der lombardischen Seeufer legen mittlerweile viel Wert auf eine möglichst hohe Unabhängigkeit gegenüber der römischen Zentralregierung; die emphatischen Zeiten des Risorgimento sind auch hier längst und endgültig vorüber.
    Doch anders als in Südtirol werden daraus resultierende Auseinandersetzungen nicht in Form eines beständigen Volksgruppenkonflikts zwischen Deutschen und Italienern ausgetragen, der für den deutschsprachigen Gast besonders da unangenehm wird, wo seine ebenfalls deutschsprachigen Gastgeber sich ihm gegenüber als Opfer dieses Konflikts darstellen, obwohl der Fall doch ganz offensichtlich gerade umgekehrt liegt: Es sind in der Hauptsache die deutschsprachigen Südtiroler, die von jenem Konflikt materiell profitieren. Jeder Urlauber kann das mühelos nachprüfen. Auf zehn deutschsprachige Hotelbesitzer kommt allenfalls ein Italienischsprachiger, aber unter hundert italienisch sprechenden kleinen Hotelangestellten finden sich kaum jemals zehn deutschsprachige.
    Am Gardasee geht es in dieser Hinsicht sehr viel entspannter zu, eben weil sich hier alle als Italiener fühlen. Und weil andererseits die seit Generationen Einheimischen hier deutlich in der Minderzahl sind, spielt es im Umgang der Seemenschen untereinander auch kaum eine Rolle, ob sie vor mehr oder weniger kurzer Zeit hier zugezogen sind, oder ob ihre Familien schon immer am See oder (der häufiger auftretende Fall) in den Bergen oberhalb des Sees leben.
    Für Deutsche oder Österreicher, die sich mit dem Gedanken tragen, hier ihren Zweitwohnsitz aufzuschlagen (mehr zu diesem Thema im übernächsten Kapitel), hat das eine paradoxe Konsequenz: Sie werden sich im Kontakt mit ihren neuen Nachbarn am Gardasee in der Regel leichter tun als im deutlich konservativeren und stammesbewußteren Südtirol – nicht weil die Leute hier »deutschenfreundlicher« wären, sondern weil hier am See überhaupt ein offeneres und weniger kompliziertes Klima herrscht.
    Alles gut und schön, wird sich da nun manch einer fragen – aber haben die Leute am Gardasee denn gar keine spezifischen Charaktereigenschaften, durch die sie sich von anderen abgrenzen? Es ist das mehr oder weniger unausgesprochene Touristenbedürfnis nach Folklore, das normalerweise hinter so einer Frage steckt. Einerseits mögen wir es ja sehr, schon unserer Bequemlichkeit zuliebe, wenn wir als Reisende überall verstanden werden – wenn schon nicht sprachlich, dann doch wenigstens mental. Wohin wir auch kommen, wir erwarten, daß sich unsere Gastgeber möglichst in jeder Lebenslage in uns einfühlen. In der Regel geht es dabei um ganz alltägliche Bedürfnisse: Wir möchten gern auf den Matratzen schlafen, die wir von daheim gewohnt sind, wir wollen, daß auch im Urlaub unsere Kredit- oder EC-Karten überall akzeptiert werden, wir legen Wert auf Pünktlichkeit, auf ein »anständiges« Frühstück und überhaupt auf die Pflege unserer Eßgewohnheiten.
    Wobei sich, gerade was das Thema »Essen im Urlaub« betrifft, diejenigen, die Wert auf gehobene Menüfolgen mit typisch regionalen

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