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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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eine Viertelstunde, die letzte Viertelstunde der in der Regel vielstündigen Anreise zum See. Klar, daß den Reisenden auf diesen Schlußmetern, auf denen sie obendrein ständig das verlockende Seepanorama vor Augen haben, die Ungeduld abwärts treibt. Nun bloß keine Fahrtunterbrechung mehr, denken sie. Und rasen deswegen, bevor sie überhaupt angekommen sind, gleich an zwei hochspektakulären Plätzen vorbei.
    Deren erster ist in wirklich jedem Reiseführer verzeichnet, weswegen wir uns hier auf einen kurzen Hinweis beschränken können. Es sind die Marmitte dei Giganti, die Gletschermühlen der Riesen. Mit der deutschen Bezeichnung ist schon das Wichtigste gesagt: Die gewaltigen Gletscher der letzten Eiszeit haben durch ihre starken Drehbewegungen riesige Trichter und Höhlungen in den Kalkfels gegraben – eine wild-bizarre, fast unmittelbar über dem See gelegene und von einer üppig blühenden Strauchvegetation bewachsene Kleinlandschaft, die Reisende zu kurzen oder ausgedehnteren Streifzügen geradezu suggestiv einlädt. Man muß schon ein sehr unempfängliches Gemüt besitzen, um hier nicht das Staunen zu lernen – vorausgesetzt, man ist nicht achtlos an dem kleinen Parkplatz unterhalb von Nago vorbeigerauscht, von dem aus verschiedene Erkundungspfade in die Marmitte hineinführen.
    Die zweite Attraktion auf unserem Weg steht dagegen in keinem Reiseführer verzeichnet. Und übersehen, wir haben es oft beobachtet, wird sie nicht nur von den ungeduldig zum See drängenden Autofahrern, sondern auch von Leuten, die ein paar Meter neben ihr stehen.
    Zugegeben dabei: Diese Ignoranz hat auch ihr Gutes. Wäre es anders, würde die kleine Freiluftbar neben dem Parkplatz der Marmitte dei Giganti nämlich nicht mehr lange bleiben, was sie ist: einer unserer Lieblingsplätze über dem Gardasee. Auch wir sind unzählige Male hier vorübergefahren – irgendwelche Getränke und kleine Imbisse feilhaltende Kioske stehen schließlich überall an italienischen Landstraßen herum, und dieser hier sieht auf den ersten Blick auch alles andere als einladend aus: Wer will seinen Cappuccino oder sein Lemonsoda schon direkt neben der Zufahrtsstraße zum See trinken, auf der die Autos in beide Richtungen ununterbrochen bergauf und bergab unterwegs sind?
    Manchmal, am Freitagabend oder samstags gegen zehn Uhr vormittags, wenn die Surfer nach Torbole einströmen und Tausende von Wochenendurlaubern mit ihnen, stehen die Autos schon hier oben im Stau. Routinierte Gardaseeurlauber wissen das und vermeiden diese Anreisezeiten. Manchmal freilich kann man sich’s nicht aussuchen – und so standen eines Tages auch wir neben den Marmitte im Stau, und standen und standen … Bis es uns zu dumm wurde, wir das Auto auf den Parkplatz stellten und uns zu jener kleinen Bar begaben. Einen schnellen Espresso, dachten wir (am Gardasee müssen Sie einen espresso bestellen, wenn Sie einen Espresso wollen – falls Sie als fortgeschritten Italienkundiger korrekterweise caffè sagen, wird man Ihnen hier einen deutschen Filterkaffee oder, noch schrecklicher, einen sogenannten caffè lungo, also einen mit viel und meist lauwarmem Wasser gestreckten Espresso servieren) – einen schnellen Espresso also, dann wird sich der Stau schon irgendwie aufzulösen beginnen.
    Der Stau löste sich tatsächlich in wenigen Minuten auf. Aber wir saßen noch fast eine Stunde lang in der kleinen Bar oder, genauer gesagt, bei der kleinen Bar. Mittlerweile hatten wir nämlich entdeckt, daß dieser unscheinbare Kiosk am Eingang einer einst vom Gletscher in den Fels gemahlenen und zum See hin offenen Mulde steht, einer Art von natürlichem Amphitheater also, gebildet aus mehreren halbkreisförmig übereinanderliegenden Terrassen. Diese mit Gras bewachsenen und von einigen Olivenbäumen bestandenen Plattformen haben die beiden jungen Betreiber der Bar durch Steintreppen miteinander verbunden, haben dann Tische und Stühle auf die Terrassen gestellt, ein paar Lampen montiert, alles vollkommen unaufwendig, und schon war der kleine Barkiosk zur Café-Arena erweitert.
    Verzieht man sich mit seinen Getränken auf eine der hinteren Terrassen, gewinnt man sogar Abstand von der Straße. Nicht mehr als 15, maximal 20 Meter Abstand, gewiß; aber noch mehr Abstand zur Straße, das lernen wir bei dieser Gelegenheit auch gleich, ist am Gardasee kaum jemals drin. Auf der einen Seite der immer dicht am Ufer entlang verlaufenden Straße Wasser oder Häuser, auf der anderen Häuser oder Felsen

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