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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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deutschen Touristen, die schon vorher, von der Mitte des 19. Jahrhunderts an, hierherkamen (wir werden von ihnen noch hören), hatten nämlich mit dem Thema »Goethe am Gardasee« so gut wie nichts am Hut, obwohl sie samt und sonders den gebildeten Ständen zuzurechnen waren. Und umgekehrt spielten andere Geistesgrößen wie Friedrich Nietzsche, Robert Musil oder Rainer Maria Rilke, die es ebenfalls hierhergezogen hat, im Gardaseetourismus der 50er Jahre eine im Vergleich zu Goethe nahezu verschwindende Rolle. Der Grund dafür: Nie hatten die Deutschen eine auch international anerkannte und zugleich ideologisch weitgehend unangreifbare Autorität wie Goethe so dringend nötig wie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sie gezwungen waren, die Reste ihres unter und mit Hitler zerstörten Selbstbewußtseins wieder mühsam zusammenzukratzen.
    Nur wenig überspitzt könnte man sagen: So wie die große Italienreisewelle der frühen Wirtschaftswunderzeit ein Resultat des materiellen, war die nahezu sklavische Goetheverehrung ein Resultat des ideellen deutschen Wiederaufbaus – und hier am Gardasee traf dann beides zusammen.
    Was damit allerdings noch nicht ganz erklärt wird, ist die Bereitschaft, mit der die italienischen Gastgeber der Deutschen am Gardasee jenen Goethekult mitmachen. Ist doch klar, könnte man sagen, die Gastgeber wissen eben, was ihre Gäste hören wollen. Doch ganz so einfach liegt der Fall nicht – zumal Goethe mittlerweile nicht nur den Surfern in Torbole, sondern wohl auch den allermeisten anderen deutschen Touristen hier längst wieder herzlich egal geworden ist. Möglicherweise haben aber die Italiener Goethes Vorläuferrolle richtiger begriffen als wir Deutschen. Denn in Wahrheit war Goethe keineswegs ein touristischer Pionier in dem Sinne, daß er uns, seinen Landsleuten, bewußt vorausfuhr – er dachte nicht daran, irgend jemandem vorauszufahren, er fuhr einzig und allein für sich selbst und zu seinem eigenen Vergnügen. Wenn Goethe überhaupt als Pionier des Fremdenverkehrs bezeichnet werden kann, dann aus der Sicht der Gastgeber, denen er ganz bewußt beibrachte, wie sich aus der Reise- und Entdeckungslust von Touristen Kapital schließen ließ.
    Eben dies, Goethe als Fremdenverkehrsberater, ist auch die wahre, wenn auch von nahezu sämtlichen Nacherzählern unterdrückte Pointe der vielstrapazierten und dabei meist enorm aufgebauschten Geschichte von Goethes angeblicher Verhaftung als Spion in Malcesine. Den Dichter, der von Torbole aus auf einem Segelkahn unterwegs war, hatten die Seewinde gegen seinen Willen nach Malcesine getrieben, das damals als nördlichster Vorposten des venezianischen Staatsgebietes am Gardasee noch Grenzstadt war.
    Gerade wenn man sich Malcesine vom See her nähert, ist die mächtig über dem Städtchen thronende Scaligerburg nicht zu übersehen; also machte sich Goethe, wie später Millionen von Touristen nach ihm, gleich nach seiner Ankunft auf den Weg zu jenem damals unbewohnten und vom Zahn der Zeit gehörig angefressenen Gemäuer, setzte sich in den Burghof und begann dort seiner unglücklichen Leidenschaft nachzugehen, nämlich zu zeichnen. Damit erregte er die mißtrauische Aufmerksamkeit der Leute von Malcesine, die sich fragten, was um Himmels willen dieser fremde Mensch an diesem Gemäuer so Besonderes finde. Es kam zum Disput, an dem sich schließlich auch die Ortshonoratioren beteiligten, und schließlich zur allgemeinen Verbrüderung.
    Das war auch schon alles. Die später so begeistert kolportierte Behauptung, man habe ihn ernsthaft wegen Spionage verhaften wollen, erhob nicht einmal Goethe selbst, auch wenn er den Vorfall in seinem Reisetagebuch, wie das halt seine Art war, reichlich selbstgefällig aufbauschte. Zwar zitierte er nebenbei die Ansicht des podestà, also des Gemeindevorstehers von Malcesine, an dem alten Kastell sei »nichts Merkwürdiges, als daß es die Grenze zwischen dem Gebiete Venedigs und dem österreichischen Kaiserstaate bezeichne und deshalb nicht ausspioniert werden solle«. Doch von einer drohenden Festnahme oder gar Bestrafung war dabei nicht einmal andeutungsweise die Rede.
    Viel bedeutender erscheint einem aus heutiger Sicht der Fortgang des Berichts, in dem der welterfahrene Großbürger Goethe nun schildert, wie er diese merkwürdigen Provinzler am Gardasee über die ihnen selbst bis dahin noch unbekannten Schätze ihres Wohnorts aufklärte. Es lohnt sich, die Passage ganz zu zitieren:
    »Ich erklärte mich

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