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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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– das ist die normale Ausgangssituation hier. Und an den wenigen Stellen, an denen die Straße das Ufer verläßt, wird es erst recht eng.
    Mehr davon später. Noch sind wir ja nicht am Ufer angekommen, noch sitzen wir hier auf den felsigen Rängen unserer Café-Arena. Von uns aus gesehen bilden die Straße und der Barkiosk jetzt das Proszenium, und der Himmel wie die links steil ansteigenden und rechts fast lotrecht in die Höhe schießenden Uferberge den Bühnenhintergrund. Die eigentliche Bühne aber ist der See selbst.
    Das einzige, was jetzt noch fehlt, zwar nicht unbedingt zu unserem Glück, aber womöglich zu dem der Barbetreiber und vieler ihrer deutschen Gäste, ist der an sämtlichen prominenten Plätzen des Gardasee-Ostufers eigentlich obligatorische Hinweis »Goethe war hier«. Doch da können wir aushelfen: Goethe war tatsächlich hier, genau hier, in dieser vom Gletscher aus dem Fels geschliffenen kleinen Arena über Torbole. Dafür, daß das vor uns offensichtlich noch keiner gemerkt hat, lassen sich zwei Erklärungen denken. Die erste haben wir bereits erwähnt: Es ist die Ungeduld der meisten Gardaseereisenden, endlich den See zu erreichen, die sie davon abhält, die bezaubernde Lage dieses Platzes zu erkennen. Allenfalls nehmen sie im Vorüberfahren den Parkplatz und den Barkiosk wahr, zwei Einrichtungen also, von denen Goethe garantiert keinen Gebrauch gemacht hat.
    Apropos Einrichtungen und Gebrauch machen: Während seines Gardasee-Aufenthalts hat Goethe auch einen Sachverhalt registriert, der lange Zeit das Hauptproblem praktisch aller deutschen Italienreisenden darstellte: die Konstruktion und den beklagenswerten Zustand italienischer Toiletten. Das glauben Sie nicht? Bitte schön: »Torbole, den 12. September 1786, nach Tische – (hier) fehlt eine höchst nötige Bequemlichkeit, so daß man dem Naturzustande hier ziemlich nahe kömmt. Als ich den Hausknecht nach einer gewissen Gelegenheit fragte, deutete er in den Hof hinunter …«
    Der Dichterfürst als Mensch! Wieso wird dieses schöne Zitat uns Nachfahren und Nachfahrern so hartnäckig vorenthalten? Eben weil es auf den Menschen hinweist und seine höchst menschlichen Bedürfnisse? Vielleicht. Wahrscheinlicher aber ist es, und damit kommen wir auf die zweite Erklärung, daß Goethes »Italienische Reise« – wie auch, so fürchten wir, des Meisters andere Werke, sehr viel seltener gelesen als in wenigen ausgesuchten Zitaten übermittelt werden. Und diese Ausschnitte schreibt überdies seit Generationen einer vom anderen ab, leider übrigens auch ein Reiseführer-Autor vom anderen. So wird, was einmal des Zitierens für würdig befunden wurde, ewig wiederholt, und was bislang nicht zitiert wurde, gerät in Gefahr, auf ewig in Vergessenheit zu geraten.
    Das können wir nun wenigstens im Fall unserer Gletschermühlen-Arena ändern, indem wir die Zahl der abschreibfähigen Goethe-Gardasee-Zitate um ein weiteres bereichern: »Wenn man hinaufkommt, liegt ein ungeheurer Felsriegel hinten vor, über den man nach dem See hinunter muß. Hier zeigten sich die schönsten Kalkfelsen zu malerischen Studien. Wenn man hinabkommt, liegt ein Örtchen am nördlichen Ende des Sees und ist ein kleiner Hafen oder vielmehr Anfahrt daselbst, es heißt Torbole. Die Feigenbäume hatten mich schon den Weg herauf häufig begleitet, und indem ich in das Felsamphitheater hinabstieg, fand ich die ersten Ölbäume voller Oliven.«
    Richten wir den Blick von diesem Amphitheater aus in die Weite, meinen wir, Bühne und Hintergrund, See, Berge und Himmel dort draußen im Süden und Südwesten ineinander verschwimmen zu sehen. Unmittelbar vor und unter uns aber scheint alles zum Greifen nah: das Wasser, die Boote und die Surfer, die sich über den See bewegen, die Häuser der nördlichen Uferorte. Übrigens, es sind sehr viele Häuser, man könnte auch sagen: erschreckend viele. Weit und breit ist kaum ein unbebautes Stück Uferlandschaft auszumachen; wo immer die Berge Platz gelassen haben, stehen Gebäude am See, fahren Autos, drängeln sich Boote aller Art in kleinen Häfen zusammen.
    Manch einer, der zum ersten Mal von hier auf den Gardasee und seine Ufer schaut, kann dabei, trotz aller Vorfreude, eine leise Skepsis nicht leugnen. Gegen den Strom schwimmen, schön und gut – aber wie soll das hier überhaupt funktionieren? Wo der See so wenig Platz für die Menschen läßt, wird da nicht jeder, der sich in die Scharen der Seebesucherscharen einreiht, ganz

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