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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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genug, um ohne die entschwundene Magie überleben zu können.
    Dabei hatten wir noch Glück. Denn nie kam es an den magischen Gefilden zu verbalen Ausrutschern, nie versprach einer dem anderen irgendeine Zukunft: eine mit Verlobung, mit Hochzeit, mit einem Haus voller Säuglinge. Wer das vorhat, der sollte vielleicht noch die nächsten Zeilen lesen. Sie könnten ihn zum Nachdenken (Vordenken!) bewegen. Ich habe die folgenden, eher tragikomischen Ereignisse nicht selbst erlebt, war nur Zeuge. Gern Zeuge, denn mir wurde beim Zuhören und Zusehen klar, dass es ZeitgenossInnen gibt, die noch verführbarer sind als ich, noch einfältiger und ahnungsloser.
    Ich kenne vier solcher Leute in meinem Bekanntenkreis – eine Frau, drei Männer –, kenne ihre Storys, alle voller Klischees, die alle gemein wahr wurden. (Das ist das Tückische an Stereotypen, denn oft lügen sie und oft nicht.) Von zwei Geschichten will ich erzählen. Zuerst von Rima. Ach Rima! Die Posse einer Verzweifelten, die sich in Nigeria in einen hübschen Nigerianer verliebt hatte und ihn – »betreffs Heirat« – nach Bielefeld einfliegen ließ: Sie, die Posse, endete in Tränen, denn in Nordrhein-Westfalen gibt es keine Meeresbrisen und nirgends steht ein Affenbrotbaum, der im Abendwind rauscht. Adewale war noch immer hübsch, aber jetzt stellte sich heraus, dass er viel mehr nicht vorzuweisen hatte als seinen biegsamen, sicher immer zuverlässigen Männerbody. Der 28-Jährige war Manns genug, freiwillig wieder abzurauschen.
    Anders der Fall von Ulrich, einem Belami, den ich seit meiner Jugend kenne und der einst in schwere Not geriet: Er verfiel in Havanna einer Kubanerin. Und schleppte sie nach Deutschland ab. Als künftige Braut. »Weiße Frauen« nervten ihn (Rima hatte Ähnliches über »deutsche Männer« verlautbaren lassen), er wollte jemanden mit »Herz«, mit »Gefühl«, ohne »Anspruchsdenken«. Der Leser ahnt, was kommen wird. Ungute Ahnungen, denn wer in seinem Hirn so viel schauerlichen Unfug wie Ulrich (oder Rima) herumträgt, fordert das Schicksal förmlich heraus. Und es kam, wie es kommen musste. Ein paar Tage nach der Ankunft der beiden – ein gut aussehendes Paar – richtete sich Alicia auf Ulrichs Sofa ein. (Diesmal fand das Unglück in Frankfurt statt.) Und hantierte an der Fernbedienung. Die sie nur losließ – ich überspitze verhalten –, um zum Shoppen aufzubrechen. Mit der Kreditkarte des Bräutigams.
    Damit kein Applaus von der falschen Seite droht: Kubanerinnen sind in etwa so vortrefflich oder durchtrieben wie andere Frauen auf anderen Erdteilen. Ulrich hatte eben Pech. Oder die Frau, die er verdiente. Ich habe keine Lust auf einen moralsatten Schuldspruch über sein Tun. Im Gegenteil, seine Pleite amüsierte mich. So ist das eben mit der Liebe, wenn man ihr Bedingungen stellt: Sie setzt sich ab, haut ab, verdrückt sich.
    Aus Taktgefühl werde ich nicht von den Maßnahmen berichten (auch nicht von meinem bescheidenen Anteil daran), die der Radiojournalist ergriff, um seine Anvertraute wieder zurück in die Karibik zu deportieren. Das war nicht die feine Art, aber sicher weniger peinigend als die Aussicht auf ein kubanisch-germanisches Ehedesaster. Mit Schlachten ohne Ende.
    Der Erkenntnisgewinn aus alldem, Reisender? Feiere hingegeben an allen fremden Orten das Leben. Sagen wir, an jedem, an dem zu feiern sich lohnt. Aber lass die »EingeborInnen« dort, wo immer du ihnen – charmant, respektvoll, neugierig – begegnest. Gegensätze ziehen sich an. Wie wahr: drei Wochen lang. Dann werden sie anstrengend und Entfernungen – von einem Kopf zum anderen – tun sich auf, die keiner der zwei überbrücken kann. Meist nicht. Gewiss nicht in einer gemeinsamen Zukunft. So soll die nächste Anweisung zur eleganten Annäherung an die Welt lauten: Carpe diem, viator!

Der magische Moment: Europa
    Ich habe lange überlegt, welcher Augenblick mir – in Europa – am unvergesslichsten blieb. Und kam immer wieder auf den einen zurück, der mir sofort eingefallen war. Es gab keinen unvergesslicheren. Mehr Intimität ging nicht. Mehr Menschlichkeit – im Sinne von Verwundbarkeit, von Vergänglichkeit – habe ich nicht erlebt. Auch auf keinem anderen Kontinent.
    Zuerst die wilde, böse Vorgeschichte: Stichwort »Wismut SDAG« (Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft), jener kleine Erdteil in Sachsen, wo Stalin nach dem Krieg Uran suchen ließ. Der Kommunist wollte bomben und töten können wie sein

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