Gebrauchsanweisung fuer Indien
Hawk Cuckoo, für den die Ankunft des Monsuns, getreu den poetischen Visionen aus Sanskrit-Dramen, eine Zeit des Werbens und Vermählens ist. Eine verwandte Kuckucksart gilt gar als Barometer für das Nahen des Monsuns. Wird ein solcher Vogel gesichtet, kann der erste Regen höchstens noch zweiundsiebzig Stunden entfernt sein, eine Erfahrung, die schon in den alten Texten verbürgt ist.
All das erzählte mir die Gastgeberin, die ehrenamtlich in einer Naturschutzorganisation aushalf. Aber sie hatte in diesem Jahr noch keinen Vogel erblickt, die Geschäfte ihres Ehemannes liefen schlecht, und sie hatte ihre ornithologischen Interessen zurückstellen müssen. Selbst gegen Mitternacht war die Hitze mangels Brise noch bedrückend. Die Gäste versammelten sich mit einem Getränk in der Hand auf dem Dach des Wohnhauses und blickten zum Himmel. Die Stimmung war erregt, ein wenig angespannt. Da ich mir nicht vorstellen konnte, daß der erste Regen des Jahres sich klammheimlich anschleichen würde, stieg ich die Treppen hinab in die Wohnung der Gastgeber und widmete mich ein weiteres Mal dem Büffet, das kurz zuvor aufgetragen worden war. Ich beschäftigte mich mit den gulab jamun, milchige Bällchen in Rosensirup, als Schreie erklangen und die Gäste um mich herum ihre Teller rasch abstellten und die Treppen hinaufeilten. Als ich durch die Luke, die zum Dach führte, stieg, merkte ich, wie der Geruch sich verändert hatte, und schon spürte ich die ersten Tropfen auf meinem Haar, auf meinem Gesicht. Einige der Gäste begannen zu tanzen, und der Geschäftsmann aus Gujarat, der mir zuvor in qualvollem Detail seine Fabrik beschrieben hatte, blickte weltvergessen zum Himmel. Die Vorhut des Monsuns platzte in fetten Tropfen auf seine Brillengläser. Die Party hatte gerade eben erst richtig angefangen.
Am nächsten Tag war Bombay wie verwandelt, alle Düfte waren ausgetauscht und die Lethargie des Hitzesommers verflogen. Noch war der Regen reine Segnung. Am Ende der steilen Altamount Road badeten Kinder in ihren Unterhosen in den Sturzbächen. Sie planschten zwischen den Autos herum, als seien die Schlaglöcher kleine Badewannen. Der Verkehr floß zäher, aber an diesem Tag schien das niemanden zu stören – das Hupen und Schreien hatte merklich nachgelassen. Die Stimmung war ausgelassen, es herrschte eine allgemeine Erleichterung.
Wissenschaftlich betrachtet ist der Monsun ein klarer Fall von produktiver Gegensätzlichkeit. Die Lufttemperatur über dem Ozean ist im Sommer erheblich tiefer als jene über dem aufgeheizten Land. Im Winter wandelt sich das Verhältnis um. Der Monsun bläst aus der Kälte in die Wärme hinein, verhält sich also wie ein Pauschalurlauber.
Bombay, Goa, Mangalore, Baroda, Ahmedabad, Cochin und Trivandrum liegen am Indischen Ozean und sind daher die Empfänger des südwestlichen Monsuns. Doch hinter einem schmalen Küstenstreifen erheben sich die Western Ghats, eine Bergkette von durchschnittlich tausend bis zweitausend Metern Höhe, und wenn der Monsun diese Erhebung überquert, verkühlt er sich und regnet sich ab. Das Dekkan im Regenschatten der Berge, jenes weitreichende Plateau im Inneren des Landes, erhält daher viel weniger Niederschlag. Während in Mahabaleshwar, einem Kurort in den Ghats, sechstausendfünfhundert Millimeter niedergehen, erhalten die semiariden Landschaften auf der anderen Seite gerade einmal fünfundsechzig Millimeter Regen im Jahr.
So waten Städter am Meer durch knöcheltiefes Wasser, den Kopf geschützt von einer Zeitung, die zur Titelgeschichte Bauern auf ausgetrockneter Erde zeigt, ihre Arme zum Gebet erhoben. Irgendwann irgendwo in Indien wird jährlich das gefürchtete Wort Dürre zum erstenmal ausgesprochen, und wenn sich die Sorge zur Kunde verdichtet, reagieren sogar die Aktienmärkte alarmiert und flauen ab. Alljährlich rettet der Monsun Indien, alljährlich ziert er sich wie ein übelgelaunter Gott.
Der Monsun hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte verstärkt. Da sich laut Meteorologen diese Entwicklung fortsetzen dürfte, wird ein Großteil Indiens zunehmend unter Überflutungen und Erosionen zu leiden haben. Aufgrund von Untersuchungen von Fossilien wird ein enger Zusammenhang der Temperaturen auf der Nordhalbkugel mit der Intensität des Monsuns in Südwestasien vermutet. Vor vier Jahrhunderten, als die Kleine Eiszeit herrschte, fielen die Niederschläge ungewöhnlich niedrig aus. Je mehr die Temperaturen in der Folgezeit zunahmen, desto heftiger
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