Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
Erwachsene gleichermaßen zu beeindrucken. Während Kinder auf eine seltsame Weise sofort in Verzückung geraten, wenn sie eine Kutsche mit vorgespannten Pferden sehen – und davon gibt es auf Hiddensee einige –, wundert sich der ein oder andere Erwachsene, dass er es tatsächlich ein paar Tage ohne sein Auto aushält und obendrein Wege von A nach B zurückzulegen vermag. Die Insel ist, abgesehen von einigen wenigen Versorgungsfahrzeugen, so autofrei wie zeltplatzfrei, womit zwei ungemein nervtötende Geräuschkulissen wegfallen.
A fashionable Badeort , nannte Billy Wilder die Insel, die von oben aussieht wie ein Seepferdchen. Gerhard Hauptmann forderte: Stille nur, damit es kein Weltbad werde !
Das fashionable Seepferdchen kommt im Sommer auf vier Touristen pro Einwohner. Neben einer Handvoll Hotels, die durchweg empfehlenswert sind, vermietet nahezu jeder der tausendsiebenundachtzig Insulaner im Sommer ein Zimmer. Dabei kann man es ganz besonders gut und auch sagenhaft schlecht treffen – wie immer im Leben. Dafür hat man auf Hiddensee eine ziemlich hohe Trefferquote, was gutes Essen und freundliche Bedienung anbelangt. Vielleicht die höchste in Mecklenburg-Vorpommern. Und man hat nachweislich die besten Chancen auf Sonne. Hiddensee belegt Platz 1 unter den sonnigsten und trockensten Orten Deutschlands (auch wenn Usedom etwas anderes behauptet).
Ich mag sowohl den Frühsommer besonders gern, wenn die Heckenrosen, der Ginster, der Flieder und die Kastanien gleichzeitig blühen und die ganze Insel duftet, als auch den Herbst, wenn Hiddensee von Hagebutten rot und von Sanddorn orange gepunktet ist und der Wind dazu schon kräftig Touristen weggepustet hat. Ich mag aber auch im Sommer die im lauen Wind flatternde Wäsche und die violett blühende Heide zwischen Vitte und Neuendorf, die von der vierhundert Schaf starken Inselherde im Zaum gehalten wird. Und natürlich mag ich erst recht den Winter, wenn die Insel noch stiller ist als ohnehin schon, keine Autos weit und breit, die durch den Matsch preschen, und ein gemütlicher Schnack beim Tee mit Rum lockt.
Auf dem 17 Kilometer langen und an manchen Stellen gerade mal 250 Meter breiten söten Länneken , wie es die Einheimischen nennen, zwischen Ginster, Heide und Hagebutte, Meer und Leuchttürmen, Fischkuttern, Wind und Wetter und Trampelpfaden gibt es vier Orte. Das südlichste und gänzlich unter Naturschutz stehende Fischerdorf ist Neuendorf, der Ort, in dem einst der größte Wikingergoldschatz Deutschlands geborgen wurde. Aus der Ferne sieht es manchmal ein bisschen so aus, als hätte jemand eine weiße Perlenkette im Gras verloren. Hier stehen weiße Reetdachhäuser, den Eingang nach Süden gerichtet, auf grünen Wiesen, ohne Zäune, ohne fest angelegte Wege. Südlich von Neuendorf befindet sich ein bedeutendes Vogelschutzgebiet, das für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.
Sechs Kilometer weiter nördlich und trotzdem einen anderen Dialekt sprechend, bewohnen sechshundert Hiddenseer den größten Ort: Vitte (sprich: Fitte). Hier befindet sich das Rathaus, eine Seebühne, der einzige
EC
-Automat und das älteste noch erhaltene Haus der Insel, das Zeltkino, das Hexenhaus sowie die Asta-Nielsen- (rund) und Henni-Lehmann-(blau) Häuser. Außerdem können hier im Inseldrogeriemarkt Kiek in Handwagen geliehen werden, die Kinder gerne zur persönlichen Kutsche mit ganz persönlichen Pferdchen machen.
Nördlich von Vitte liegt Kloster, der Kopf, das kulturelle Zentrum. Hier befinden sich die Inselkirche, der Inselfriedhof, das Heimatmuseum und das Wahrzeichen Hiddensees, der 28 Meter hohe Leuchtturm Dornbusch. Der Blick von dort oben ist natürlich beeindruckend schön, aber auch ein Blick nach unten lohnt sich. In der näheren Umgebung des Leuchtturmes kann man unter der Grasnarbe noch eine Ascheschicht erkennen, die aus dem Jahr 1628 stammt, als Wallenstein angeordnet hatte, den Eichenmischwald niederzubrennen. Die Dänen sollten nicht auf die Idee kommen, die Insel für Naturholzgewinnung zu missbrauchen. Am Nordrand Klosters erhebt sich auf einer Anhöhe die Lietzenburg ( Lietze heißt Ente), eine Villa, die der Berliner Maler Oskar Kruse (1847
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1919) errichten ließ und die fortan als Treffpunkt für Maler und Dichter diente.
Das vierte, kleinste und älteste Dorf, Grieben, erstreckt sich über die Südostabhänge des Dornbuschhochlandes im Norden. Während Grieben für Touristen ländliche Idylle und slawische Felsmauern
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