Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
wiederum ist die richtige Zeitung, um darin während des Essens zu blättern, wenn man sich aus magentechnischen Gründen nicht aufregen möchte. Und wahrscheinlich ist es auch die geeignete Zeitung, um Reste dieses Essens einzupacken – es stellt geradezu eine Geheimwissenschaft dar, zu wissen, welche Zeitungen sich eignen, welche Dinge einzupacken; Bücher und kleinere Antiquitäten etwa würde ich ausschließlich mit den Vorarlberger Nachrichten ummanteln, Pilze zum Trocknen vorzugsweise auf den Oberösterreichischen Nachrichten auflegen, Löcher in Wänden mit dem Wirtschaftsblatt stopfen, Schußwunden würde ich zur Not mit der Wiener Zeitung abdecken und das Innere von Schubladen vornehmlich mit Seiten der Kleinen Zeitung auskleiden. Wofür sich die neugegründete Druckschrift mit dem Namen Österreich eignet, kann ich nicht sagen, ich weiß es nicht, aber ich glaube kaum, daß man damit gute Bücher oder Antiquitäten einpacken sollte. Und am allerwenigsten das eigene Essen.
Bleibt von den »lebenden« überregionalen Tageszeitungen die anfangs bereits erwähnte und unbedingt empfohlene Kronen Zeitung, die mit Abstand auflagenstärkste, weniger dem Boulevard als der Meinungsbildung verpflichtete Gazette, bei welcher sich immer wieder die Frage stellt, ob sie den Leuten aufs Maul schaut oder eher die von ihr gedruckten Anschauungen direkt ins Maul der Leute wandern. Wahrscheinlich ist es ein Wechselspiel, ein gegenseitiges Sichaufschaukeln von Zeitung und Leser, von geschriebenem Wort und »eigener« Meinung, eben eine strudelartige Verbindung von Hülle (Zeitung) und Fülle (Volk). Die rechtspopulistische, die üblichen Ressentiments bestätigende und fordernde Strategie der Zeitung nährt natürlich den Verdacht und das Vorurteil, beim üblichen Österreicher handle es sich um einen faschistoiden Kleinbürger oder wie Professor Robert in Bernhards Heldenplatz urteilt: ». . . sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige.« Doch ich glaube, daß der eigentliche Antrieb eine ganz prinzipielle Antihaltung ist, kein spezielles Ressentiment, sondern ein fundamentales Ressentiment, ein im Grunde gegen sich selbst gerichtetes Vorurteil. Ausländerhaß und Antisemitismus sind in Österreich bloß die Vorderseite einer Münze, auf deren Rückseite der Selbsthaß steht, der wiederum der Zwilling der Eigenliebe ist. Der Österreicher ist sehr viel weniger mit den anderen beschäftigt als mit sich selbst. Der Strudel reißt die Dinge mit sich, nicht umgekehrt. Das geht so weit, daß alles in der Welt durch eine österreichische Brille, durch ein österreichisches Gitter betrachtet und bewertet wird. Die vielen kurzen, sehr persönlich, leidenschaftlich und antiintellektuell gehaltenen Krone-Kolumnen dokumentieren weniger ein konservatives Weltbild denn eine kleinbürgerlich selbstreferentielle Haltung. Ein Wir-sind-wir-Gefühl als fast schon verzweifelt vorgetragener Schutzschild gegen eine verrückt gewordene Welt. Gegen eine Moderne, die man ausschließlich in ihren negativen Auswirkungen erkennt. Die Kronen Zeitung bestätigt die beiden stärksten Gefühle der Menschen: Angst & Stolz (andere sagen dazu: Paranoia & Größenwahn).
Mittels der Kronen Zeitung verfügt der Österreichreisende somit über ein Medium, welches ihn so tief wie möglich in die Seele der Österreicher schauen läßt. Daß mit der Tiefe die Dunkelheit zunimmt, liegt in der Natur der Sache.
Zu allem, was lebt, gehört auch das Ausgestorbene. Und wenn man sich also vorstellt, wie der Modellösterreicher drei Zeitungen unter seinen drei Achseln trägt und wie er Bücher und Antiquitäten in Zeitungspapier packt und wie er in einer dieser Zeitungen auch wirklich liest, so schwebt über ihm — in der Art eines fliegenden Holländers – eine ausgestorbene Zeitung, die Arbeiter-Zeitung. Eingestellt im Jahre 1991, lange wirkend als Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokraten, steht sie dafür, was die österreichischen Sozialdemokraten gerne mit den Dingen machen: sie nämlich umbringen. Für alles, was die Sozialisten erschaffen haben, und das ist sehr viel Gutes, finden sie auch einen Weg, es wieder zu zerstören. Sie sind wie Performancekünstler, die am Ende der Ausstellung die eigene Kunst zerschlagen, oder wie Rockmusiker, die nicht ohne eitles Vergnügen die Gitarre demolieren, mit der sie eben noch so wunderbar musiziert haben. — Das ist eine traurige Sache. Die Arbeiter-Zeitung ist eine von vielen roten Engeln, die über
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