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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sicherheit einer durchorganisierten Fluggesellschaft schätzt, der sollte ein Aida-Lokal aufsuchen, sich brav hinsetzen, einen Punschkrapfen bestellen und die Aussicht genießen (wobei auch außerhalb von Wien gilt, daß die Konditorei der sicherste Ort ist). Und wenn Sie hin und wieder von einer Kaffee- oder Teetasse angesprochen werden, bleiben Sie ganz ruhig. Es hat nichts zu bedeuten. Das österreichische Geschirr hört sich gerne selbst beim Reden zu und erwartet nicht wirklich eine Antwort von Ihnen.
    Ich gestehe, um die Sachertorte habe ich mich herumgedrückt. Es ist so schwer etwas über sie zu sagen, weil sie so berühmt ist. So wie es schwer ist, etwas über Maria Callas zu sagen, wenn man ihren Gesang gar nicht so übermenschlich findet, oder über Freud, wenn man ihn für kindisch hält. Trotzdem muß ich mich aus dem Fenster lehnen und erklären, daß ich die Sachertorte für maßlos überschätzt halte, sowohl die »Original-Sachertorte« (von Sacher, mit Marillenmarmelade in der Mitte) als auch die Demelsche Sachertorte (ohne Marillenmarmelade in der Mitte).
    Es ist die einzige Torte oder Süßspeise, bei welcher die Begleitung von Schlagobers absolut nötig ist. Schlagobers ist ja eigentlich die Crème fraîche der Dessertküche. Man kann damit den letzten Dreck noch retten. Der Schlagobers neutralisiert die Sachertorte, welche ohne diesen Schlagobers so schmeckt, als handle es sich um ein Neben- oder Abfallprodukt von etwas ungleich Besserem. Man könnte auch sagen, wie die Schale einer Frucht, wie ein Ersatzstoff, eine Paralleltorte. Jedenfalls habe ich beim Verzehr immer den Eindruck, man würde mir etwas vorenthalten, man hätte mir die falsche Torte vorgesetzt, Schokolade, die keine ist, obgleich gerade um die Zusammensetzung der Schokoladeglasur ein großes Theater gemacht wird. Doch wenn die Ingredienzien und die Rezeptur eines Produkts verheimlicht werden, kann das immer zwei Gründe haben. Bei synthetischen Artikeln befürchten wir natürlich das Schlimmste. Bei einer Torte aber, die noch dazu das Prädikat »Original« trägt, wiegen wir uns in Sicherheit. Ich denke, daß der langjährige Streit zwischen dem Hotel Sacher und der Hofzuckerbäckerei Demel um das Recht, die eigene Sachertorte als die originale zu bezeichnen, ein einziger Schmäh gewesen ist. Keins von den zwei Ungetümen ist die wirkliche Sachertorte. Die wirkliche Sachertorte ist eine Legende. Oder es handelt sich um eine zwischenzeitlich unbekannte Vorläuferin. Oder sie existiert tatsächlich heute noch, dann aber bloß für ein paar Eingeweihte, die üblichen Logenbrüder, die verächtlich auf ein Volk sehen, das ihnen wieder mal auf den Leim gegangen ist.
    Ich habe einmal geschrieben, die Sachertorte schmecke so, wie sie aussehe: ein braunes Loch statt eines schwarzen. — Na, dann schon viel lieber ein Mohr im Hemd, selbst wenn er aus der Tiefkühltruhe kommt.
    Braune Löcher sind wie schwarze, sie verschlucken alles, nicht zuletzt die Liebe zum Essen. Apropos: Über das Schnitzel, auch Wiener Schnitzel genannt (wie man ein Unglück manchmal auch als ein großes Unglück bezeichnet) muß natürlich noch gesprochen werden. Das Schnitzel gilt ja vielen als der Ausdruck des Österreichischen. Hier ist es ein Stück geklopften Kalbsfleisches (als wollte man etwas Totes noch toter machen), das von einem Mantel aus Bröseln verborgen wird. Wenn man sodann – und dies ist unerläßlich – den Saft einer Scheibe Zitrone über die Panier tröpfelt, ist das so, als wollte man den Mantel transparent machen, um einen ersten Blick auf das solcherart umhüllte Fleisch zu tun. Für die besonders Ängstlichen — und wir würden nicht so viel Lärm um das Essen machen, wenn wir uns nicht davor fürchten würden -gibt es die Schnitzelsemmel, also ein zwischen die Hälften einer goldgelben Semmel gefügtes goldbraunes Schnitzelstück. Viel Gold, aber kompakt.
    Ein auf dem Teller serviertes Wiener Schnitzel hingegen kann den Leuten gar nicht groß genug sein. Das Schnitzel ist eine Macht, und das soll jeder sehen. Dazu paßt, daß man einst in Konstantinopel das Fleisch mit Goldplättchen zu panieren pflegte, um zu demonstrieren, keiner von den Armen zu sein. Und auch heute noch kommt es auf die Panier an. Sie soll dem Betrachter die Sinne rauben. Ihn gewissermaßen blind machen für alles andere als dieses Schnitzel. Der Geschmack an sich ist relativ banal. Sogar ein gelungenes Wiener Schnitzel hat immer etwas Zähes. Es ist, als würde

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