Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
am Unmittelbarsten zum Ausdruck bringen.« Und im Vorwort selbst heißt es: »Ich bin also der Meinung, die Probleme im wesentlichen endgültig gelöst zu haben. Und wenn ich mich hierin nicht irre, so besteht nun der Wert dieser Arbeit zweitens darin, daß sie zeigt, wie wenig damit getan ist, daß die Probleme gelöst sind.« Wie ungemein österreichisch! Einerseits die selbstverständliche, locker hingesetzte Hybris, andererseits der saloppe und wegwerfende Umgang mit der eigenen Leistung (die man sich freilich von niemand anderem als von sich selbst in Frage stellen läßt).
Auch dieses Haus in der Kundmanngasse, geplant und errichtet von dem gerade erst gescheiterten Volksschullehrer Ludwig Wittgenstein für seine Schwester Margaret Stonborough, kann als »Weltmaschine« begriffen werden. Idealerweise ist es wie die meisten Häuser unbeweglich, nur daß die meisten Häuser kaum imstande sind, statt sich selbst die Welt zu bewegen oder auch nur widerzuspiegeln. Was sie widerspiegeln, ist selten mehr als das »nackte Wesen« ihrer Erbauer oder Benutzer. Das Wittgenstein-Haus aber ist eine einzige Ornamentverbannung, warum man glauben könnte, es handle sich um eine große anti-österreichische Geste.
Wenn man sehen möchte, was Österreich nicht ist, dann sollte man sich dieses Gebäude anschauen, seine Wände, die nichts als Wände sind, seine Fenster, die von oben bis unten nichts als Fenster sind, gleich wie sehr man sich bemüht, etwas anderes als eine Fensterexistenz in sie hineinzudichten. Ein Treppenhaus, welches tatsächlich den Treppen ein Haus bietet. Und dies alles ist sehr viel weniger Funktion als pures Vorhandensein. Die Räume existieren. Die Türen existieren. Die Funktion, die Praktikabilität ergibt sich nebenbei, weil das bloße Vorhandensein eben auch einen Nutzen abwirft für die, die sich dieser Räume und Türen bedienen. Das Wittgenstein-Haus repräsentiert die Welt als Grenze. Als Grenze zum Jenseits, als Grenze zum Kosmos, zeigt aber, daß man innerhalb dieser Grenzen auch ganz gut leben kann. Ja, daß sich durch kein Fenster so gut schauen läßt wie durch eines, das nichts als ein Fenster ist. — Das hat übrigens nichts mit der Moderne zu tun. Dieses Haus, fertiggestellt 1928 (man könnte auch sagen »zu Ende gedacht«), entzieht sich der Architekturgeschichte, umgeht sie, so wie man die sogenannten Hundstrümmerln auf dem Trottoir umgeht. Es ist kein ideologisches Gebäude, das Anti-Österreichische ergibt sich zwangsläufig und bezieht sich ebenso auf die moderne und zeitgenössische Architektur, welche ja ebenfalls im Österreichischen gefangen ist, also im Ornament und im Strudel. Das Wittgenstein-Haus aber ignoriert diesen Strudel. Freilich muß man sagen, daß der Strudel auch das Wittgenstein-Haus ignoriert. — Unbedingt anschauen, wie da eins am anderen vorbeizieht.
Ganz im Unterschied zu den Gebäuden des Adolf Loos, etwa dem berühmten Haus am Michaelerplatz, das an wunderschöner Stelle, inmitten der Wiener Herrlichkeit, seine Gegenposition lautstark verkündet. Es schreit förmlich: Seht mich an! Ich pfeif auf jede Zierde. Ich bin rein und gut und stark und unverdorben. Und schön bin ich auch noch. – Und darum heißt ja auch einer von Loos’ Aufsätzen Ornament und Verbrechen. Es versteht sich, daß fast jeder diesen Aufsatztitel kennt, aber kaum jemand den Aufsatz, so wie man Doderers Strudlhofstiege, Musils Mann ohne Eigenschaften und Stifters Witiko vor allem vom Titel her kennt. Denn nicht der Text, sondern der Titel ist Ornament, und nur das Ornament zählt. Man schmückt sich mit einem hübschen Buchtitel wie mit einem akademischen Grad oder einem eleganten Seidenschal. Der Schal verleiht seinem Träger eine Aura. Wobei der wahrscheinlich wirkungsvollste und originellste »Schal« von Peter Handke stammt: Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter.
Loos’ stichhaltige Argumente gegen das Ornament ignorieren dessen genetische Bedingtheit, das Bedürfnis nach Unruhe und Ablenkung und Blendwerk. Ja das Bedürfnis nach dem Häßlichen, das dann für das Schöne gehalten wird. Loos entwickelt eine aristokratische und elitäre Haltung und meint: »Ornamentlosigkeit ist ein Zeichen geistiger Kraft.« Das stimmt sicherlich. Doch diese »geistige Kraft« ist von viel zuviel Ernst und Bitterkeit und einer diätetischen Strenge getragen, als daß sie sich in diesem Land halten könnte. Es herrscht hier ein übermächtiger Drang nach der Signatur. Und nach der Physiognomie.
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